Seit 100 Jahren: Die imperfekte (Dauer-)Welle

Vor 100 Jahren ließ ein Deutscher ein Gerät patentieren, das die Haare kringelte. Manche halten dies für die ästhetische Urkatastrophe, andere – heute wieder – für einen Segen.
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Die Dauerwelle - nicht aus der Mode zu kriegen (Archivbild)
dpa Die Dauerwelle - nicht aus der Mode zu kriegen (Archivbild)

Vor 100 Jahren ließ ein Deutscher ein Gerät patentieren, das die Haare kringelte. Manche halten dies für die ästhetische Urkatastrophe, andere – heute wieder – für einen Segen.

Also gut, sagen wir’s kurz und schmerzlos. Das Grauen kehrt zurück. Sie ist wieder da – die Dauerwelle . Verzagt zwar noch, aber wie wir befürchten müssen, unaufhaltbar: Madonna wellt ihre Haare schon. Amy Winehouse hat ihren Beehive zur Wuschelmähne umonduliert. Nicole Kidman lässt neuerdings ihr Haar permanentringeln. Und spätestens, wenn der neue „Sex and the City“-Film im Frühjahr in die Kinos kommt, werden die Frauen ihre Glätteisen wegwerfen und zur Heimsuchung hiesiger Friseure werden. Denn da läuft Stilikone und Trendsetter Sarah Jessica Parker als „Carrie Bradshaw“ so kraus wie grausig dauergewellt durchs Bild.

Und ewig lockt das Weib?

Na, wie passend. Es ist in dieser Woche exakt 100 Jahre her, dass in London der erste Dauerwellen-Apparat patentiert wurde: die „Permanent Wave Machine“. Erfunden hatte sie ein Deutscher. Der Friseur und leidenschaftliche Locken-Erforscher Karl Ludwig Nessler aus Todtnau im Schwarzwald, damals 38 Jahre alt, er nannte sich später Charles Nestle.

Damals gab es zwei Möglichkeiten, Locken zu produzieren: Die Wasserwelle, sie hielt nur kurz und weder Haarwäsche noch Regenschauer aus. Und das Perückenhaar-Wellverfahren. Da wurden die Haare um Hölzer gewickelt und in einer alkalischen Lauge aus Soda oder Borax mit Glyzerin über Stunden weich gekocht.

Nessler kombinierte beide Varianten, suchte und fand ein williges Model für seine Experimente: Seine Frau Yvonne, die eigentlich Katharina Laible hieß und ebenfalls Friseurin war.

Eines Tages also band er ihr drei Haarsträhnen ab, drehte sie um eiserne Wickler, strich sie mit einer dunklen Tinktur ein und erhitzte sie mit einer glühenden Zange. Es zischte und rauchte auf ihrem Kopf. Die arme Yvonne soll geschrien haben, kein Wunder: Eine Strähne verbrutzelte komplett unter der glühenden Eisenrolle, die zweite blieb glatt auf einer grässlichen Brandblase. Doch die dritte! Sie lockte sich – auch nach mehrfachem Waschen. Das war der Durchbruch.

Nessler alias Charles Nestle wurde ein reicher Mann, er gründete nach dem Ersten Weltkrieg in den USA ein Coiffeur-Imperium mit 500 Mitarbeitern. Am Schwarzen Freitag 1929 verlor er sein Millionen-Vermögen und starb einsam und verarmt. Doch die Dauerwelle – sie überlebte.

In den 1920er Jahren wurde sie auf den Köpfen von Hollywooddiven berühmt. In den Siebzigern machten Stars wie Meg Ryan in „Harry und Sally“ die Pudelfrisur schick, in „Grease“ stöckelte Olivia Newton-John krauslig über die Kinoleinwand und dann befeuerte auch noch Superstar Madonna den Locken-Hype. Wer sich in den Achtzigern als Mädchen zu Glitzergürtel, Stiefeletten und Schulterpolstern keine Pudelfrisur verpassen ließ, galt als Outlaw. Den Gipfel geschmacklicher Verirrungen aber erklommen die Männer, die sich völlig schamfrei gruslige Wellengebilde aufs Haupt pflanzen ließen. Erinnert sich noch jemand an Fußballer Rudi Völler in Stöpselringeln? Schlagersänger Thomas Anders mit Vokuhila-Krauskopf? Rockröhre John Bon Jovi mit Volumenlocken? Und, ganz furchtbar, den jungen Mädchenschwarm David Hasselhoff in „Knight Rider“ mit Wuchtwelle?

Das war zuviel. Was immer der Auslöser war, die Menschheit hatte genug. Mit dem Beginn der Neunziger schien das Kapitel des krausen Grauens abgeschlossen – bis jetzt.

Es wird wohl nicht viel helfen, dass Starfigaro Udo Walz in Berlin sich hartnäckig weigert, das Wort Dauerwelle auch nur laut auszusprechen: „Der Begriff existiert nicht im Salon Walz“, sagt er trotzig, und schickt (noch) jede Kundin weiter, die partout Permanentlocken haben will.

Kollege Wolfgang Lippert aus München arbeitet da am Lenbachplatz vorausschauender. Warum die Kundinnen verschrecken? „Sie fragen drei Mal so oft nach der Welle als vor einem halben Jahr“, sagt er. „Die selbstgetrocknete mit Krausen ist natürlich grässlich – wir machen das halt so, dass man nicht sieht, dass es eine Dauerwelle ist. Große Wickler, Rundbürste, Glacéhandschuhe!“ Für die Reaktionen des Liebsten kann aber selbst ein Star-Friseur wie Lippert nicht die volle Verantwortung übernehmen. Irene Kleber

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