Schweinegrippe: Der Millionen-Irrtum

Keine Panik, keine Epidemie, nur die Kosten für 25 Millionen Impfdosen sind echt. Außerdem versucht die Politik jetzt, den Impfstoff an die Dritte Welt zu verkaufen
von  Abendzeitung
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Keine Panik, keine Epidemie, nur die Kosten für 25 Millionen Impfdosen sind echt. Außerdem versucht die Politik jetzt, den Impfstoff an die Dritte Welt zu verkaufen

Schweinegrippe-Impfstoff günstig abzugeben! 25 Millionen Dosen Pandemrix. Gut erhalten. Selbstabholer-Rabatt!" Vielleicht sollten unsere Gesundheitsminister mal eine solche Zeitungsannonce schalten. Denn: Die Länder bleiben auf ihrem Impfstoff sitzen. Kaum jemand redet noch von H1N1. Die Katastrophe ist ausgeblieben. Gestern sind Vertreter der Bundesländer in Berlin mit der Pharmafirma GlaxoSmithKline zusammen gekommen, um über eine Reduzierung der Liefermenge zu verhandeln. Der Pharmakonzern signalisierte offenbar Entgegenkommen und will „einen größeren Teil der Bestellungen“ stornieren. Wie viel genau war zunächst aber nicht bekannt. Nächste Woche stimmen die Vertragspartner endgültig ab. Gleichzeitig wird bereits versucht, überzählige Medikamente in Dritt-Welt-Länder zu verscherbeln. Die AZ erklärt das Dilemma.

Warum gibt es zu viel Impfstoff?

Im Frühjahr 2009, mitten in der schönsten Schweinegrippen-Panik, bestellten die Gesundheitsminister der Länder 50 Millionen Impfdosen. Pandemrix wurde auf Basis des Vogelgrippe-Impfstoffs entwickelt. Dieser hatte aber einst nur wenig Schutzwirkung entwickelt. Deshalb war man Anfang 2009 noch davon ausgegangen, dass man mindestens zwei Impfungen pro Person braucht. Klinische Studien haben dann im Verlauf des Jahres aber gezeigt, dass eine einzige Spritze reicht. Dazu kommt: Die Deutschen haben sich nur extrem zögerlich impfen lassen. Nach Schätzungen des Paul-Ehrlich-Instituts haben sich bisher nur rund fünf Prozent der Deutschen gegen H1N1 immunisieren lassen.

Wer zahlt das alles?

Beim Poker um die Finanzierung der Behandlungskosten hatten sich die Länder auf einen selten schlechten Kompromiss eingelassen: Die Krankenkassen bezahlen alle tatsächlich durchgeführten Impfungen. Und die jeweiligen Länder zahlen die Impfdosen, die nicht gebraucht werden - also: den Löwenanteil. Insgesamt haben die 50 Millionen Impfdosen 416,5 Millionen Euro gekostet. Sie reichen jetzt für satte 60 Prozent der Bevölkerung – viel zu viel. Mechthild Ross-Luttmann (CDU), Niedersachsens Gesundheitsministerin und derzeit Vorsitzende der Ministerkonferenz, hat gestern die Gespräche mit GlaxoSmithKline geführt. Sie spricht von „harten Verhandlungen“, aber einem „guten Kompromiss“. Details nannte sie zunächst nicht. Zuvor hatte sie auch die Bundesregierung um Hilfe gebeten: „Der Bund hat uns ja immer sehr gedrängt, mehr Impfstoff zu bestellen. Von daher sehe ich auch den Bund mit in der Pflicht, uns bei den Verhandlungen zu unterstützen.“ Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) hat das bisehr abgelehnt.

Was soll jetzt mit dem übrigen Impfstoff passieren?

Auch wenn GlaxoSmithKline die Produktion runterfahren sollte – wegen der Impfmüdigkeit der Bevölkerung wird es vermutlich immer noch zu viel Impfstoff sein. Deshalb hat der Bund bereits bei anderen Staaten wegen einer Abnahme des Impfstoffs sondiert. Angefragt sind unter anderem Moldawien, Mazedonien, der Kosovo, Albanien, die Mongolei und die Ukraine. Allerdings ist diesen Staaten der geforderte Preis mit sieben Euro pro Dosis noch zu teuer.

War die Schweinegrippe reine Panikmache?

„Jein“, sagt der Münchner Immunologe Nikolaus Frühwein. „Hätte die Bundesregierung am Ende zu wenig Impfstoff gehabt, wäre der Aufschrei ebenso groß gewesen. Wie man es macht, macht man's falsch."

Aber wer trägt die Schuld an dieser Panik? Die Medien?

„Nein", sagt Frühwein zur AZ. „Die Medien haben nur das aufgegriffen, was in der Fachwelt passiert ist. Da gab es ein regelrechtes Halali zur Jagd, nachdem die ersten Fälle aufgetreten waren. Und obendrein war die Kommunikation der Bundesbehörden katastrophal." Frühwein sieht auch die WHO in der Verantwortung. Die SARS-Epidemie 2002/2003 hatte die Weltgesundheitsorganisation unter ihrer Chefin Margaret Chan völlig falsch eingeschätzt: „Da sind wir haarscharf an einer Katastrophe vorbeigeschrammt", sagt Frühwein. „Diese Krankheit hatte eine Todesrate von über 50 Prozent und die Behörden haben viel zu spät reagiert. Unser einziges Glück war, dass SARS nicht so ansteckend war wie die Schweinegrippe. Sonst wären wir heute ziemlich einsam auf dem Planeten."

Damals wurde Chan scharf kritisiert – und agierte fortan übervorsichtig, warnte ständig vor der nächsten großen Epidemie. „Als dann die Schweinegrippe kam, sind bei der WHO förmlich die Sektkorken geknallt", sagt Frühwein. „Da hat man dann völlig überreagiert – und passiert ist am Ende fast überhaupt nichts." Dies aber berge die Gefahr, dass die Menschen irgendwann offizielle Warnungen nicht mehr ernst nehmen. „Schon jetzt waren sie völlig cool, selbst bei der höchsten Pandemiestufe sechs. Wenn dann aber mal ein wirklich gefährliches Virus auftaucht, endet das tödlich."

Annette Zoch

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