Schüsse auf Traumschiff: „Es war wie im Krieg“

Piratenüberfall auf Kreuzfahrtdampfer: 38 Deutsche unter den 1000 Passagieren. Israelische Sicherheitsleute vertreiben Seeräuber. Sie kamen schon die Bordwand hoch.
Die letzten Töne des Klassik-Konzert verhallten im Nachthimmel über dem Indischen Ozean – da fielen Schüsse: „Gehen Sie in Ihre Kabinen“, sagte der Kapitän über Lautsprecher. Die Zuhörer unter den 1000 Passagieren gehorchten. Sie verbrachten eine Nacht voller Ungewissheit. Bis zu Morgen wussten sie nur eines: Die Piraten haben wieder zugeschlagen.
50 Schüsse zählte Rolf R., einer von 38 Deutschen an Bord der „MSC Melody“. „Wir werden gerade überfallen“, teilte er seiner daheimgebliebenen Frau am Samstagabend per SMS mit: „Soweit bin ich ok.“ Erst am nächsten Morgen stellte sich heraus, dass die Attacke nicht erfolgreich war. „Ich habe meinen Sicherheitsleuten den Befehl gegeben, das Feuer zu erwidern“, sagte Kapitän Ciro Pinto gestern.
Ein Feuergefecht nördlich der Seychellen
Auf dem Schiff fuhren israelische Wachleute mit, sie gelten als besonders gut ausgebildet. Nach ihrer Wehrdienstzeit verdingen sich junge Israelis gerne auf Kreuzfahrtschiffen. Am Samstag kamen sie zum Einsatz. Offenbar waren die Piraten bereits dabei, mit Strickleitern die Bordwände aufzuentern. Doch mit Feuerlöschern vertrieben die Wachleute die Angreifer. Der Kapitän sprach von 200 Schüssen, es war ein kleines Feuergefecht 250 Kilometer nördlich vom Ausgangshafen auf den Seychellen – und 1100 Kilometer vom eigentlichen Operationsgebiet der Piraten am Horn von Afrika: „Sie weiten ihr Einsatzgebiet immer weiter aus“ sagt ein Diplomat.
Passagiere berichteten von einem weißen Schnellboot mit sechs Mann Besatzung, das sich dem Schiff genähert habe. An Bord des renovierten Dampfers sei keine Panik ausgebrochen. Jeder habe sich ruhig verhalten und weisungsgemäß seine Kabine verdunkelt. Es wurde niemand verletzt.
Das Schiff gehört der italienischen MSC Reederei, es war auf einer 22-tägigen Kreuzfahrt von Durban nach Genua. Nächste Station sollte Akaba in Jordanien sein.
Das Schiff war schon auf Ausweichkurs
Die Reederei betonte, man habe die Route bewusst großzügig um die Jagdgründe der Piraten herumgeführt, es hat nichts genützt. Das nächste Kriegsschiff der EU-Mission „Atalanta“, mit der die Handelsschifffahrt vor den Piraten geschützt werden soll, war 100 Seemeilen (185 Kilometer) entfernt. Es war ein Versorgungsschiff, ohne die nötigen Hubschrauber für einen schnellen Einsatz.
Für Fachleute ist der Angriff auf ein Kreuzfahrtschiff ein Alptraum: „Das ist das Schlimmste, was passieren kann“, sagt ein Diplomat zu „Spiegel online“. Bisher erpressen die Piraten von Reedern Lösegeld in Millionenhöhe, um Fracht und Frachter wieder freizubekommen: „Wenn sie ein Kreuzfahrtschiff in ihre Hand haben, sind plötzlich Regierungen mit im Spiel.
In den nächsten Tagen werden vier Kreuzfahrer in den gefährlichen Passagen erwartet. Sie fahren allerdings im Konvoi und mit militärischem Begleitschutz. Sicherheitsleute haben die meisten an Bord.
Einschusslöcher im Rauchsalon
Am Tag nach Überfall sind Spuren des Gefechts sichtbar. Im Rauchsalon des Kreuzfahrtschiffs sind Einschusslöcher zu sehen. In Ägypten soll das Schiff repariert werden, den Passagieren soll freigestellt werden, ob sie ihre Reise von dort fortsetzen oder heimfliegen. Kriegsschiffe sollen die „Melody“ auf dem Weg eskortieren.
Das Bordprogramm wurde gekürzt. Eine feuchtfröhliche Äquatortaufe ist jedenfalls abgesagt. Am 8. Mai wird die „Melody“ wieder in Genua erwartet. Bei künftigen Reisen, so die Sprecherin der Reederei, werde man die Routenplanung erneut überdenken,
Matthias Maus