Schluss mit wilden Tieren im Zirkus?

Die Länder wollen ein Verbot durchsetzen. Doch das könnte schwierig sein, sagen Experten voraus.
Gioia Forster |
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Artgerecht? Ein Elefant muss sich auf einer kleinen Kugel halten.
dpa Artgerecht? Ein Elefant muss sich auf einer kleinen Kugel halten.

Ein Elefant balanciert auf seinen Hinterbeinen, danach tanzt er auf einer Kugel. Tiger springen durch brennende Reifen, Bären lassen Hula-Hoop-Reifen um die Hüften kreisen. Seit Jahrzehnten sind Kunststücke mit Wildtieren vom Zirkus kaum wegzudenken – und neben ihnen stets der Mensch, Trainer und Kompagnon.

Doch müssen Wildtiere in Zirkussen nicht gerade vor dem Menschen gerettet werden? Die Länder wollen auf Initiative von Hessen, Rheinland-Pfalz und Thüringen einen neuen Anlauf nehmen. Ihre Position: Die Haltung vor allem von Elefanten, Großbären, Giraffen, Nashörnern, Nilpferden und Affen (nicht-menschlichen Primaten) in Betrieben, die die Tiere an wechselnden Orten zur Schau stellen, müsse verboten werden. Mit einem Entschließungsantrag, der heute unter Dach und Fach gebracht werden soll, will der Bundesrat die Bundesregierung zum Handeln zwingen.

Lesen Sie hier: Besitzer will Zirkusbär wiederhaben - Gericht muss entscheiden

Die Länder und Tierschützer sind sich einig: Eine artgerechte Haltung von Wildtieren ist in Zirkussen nicht möglich. Einer Umfrage von YouGov zufolge finden auch 65 Prozent der Deutschen die Haltung exotischer Tiere im Zirkus moralisch nicht in Ordnung.

Weiblichen Elefanten etwa, normalerweise Herdentiere, fehle in Zirkussen meist sehr wichtiger Sozialkontakt, erklärt Lea Schmitz vom Deutschen Tierschutzbund.

Es gibt viele Verstöße bei der Tierhaltung – aber wenige Folgen

Tiger wiederum seien oft entgegen ihres natürlichen Verhaltens in ihrer Bewegung stark eingeschränkt. Die Tiere leiden in Zirkussen, so die Länder. Das führe auch vermehrt zu Zwischenfällen wie dem im vergangenen Sommer in Baden-Württemberg, als Elefantenkuh „Baby“ aus einem Zirkus ausriss und einen Spaziergänger tötete.

Auch die Überwachung der Tierhaltung klappt aus Sicht des Deutschen Tierschutzbundes nicht. Zwar gäben Zirkus-Leitlinien vor, wie jedes Tier zu behandeln sei, sagt Schmitz. Diese Leitlinien seien aber nicht rechtlich bindend. Eine Kleine Anfrage der Grünen-Fraktion im Bundestag aus dem Jahr 2014 brachte ans Licht, dass bei 895 Zirkus-Kontrollen von Veterinärämtern im Jahr 2011 bei der Tierhaltung 409 Verstöße festgestellt wurden.

Zu selten kommt es aus Sicht des Deutschen Tierschutzbundes zu Konsequenzen – wie vergangene Woche, als in Bayern der Braunbär Ben, einer der letzten Zirkusbären Deutschlands, in Plattling beschlagnahmt wurde .

Ob ein erfolgreicher Entschließungsantrag auch in der Bundesregierung Gehör findet, ist fraglich. Bereits 2003 und 2011 gab es ähnliche Vorstöße. Das Landwirtschaftsministerium ist in einem Dilemma: Ein Verbot sei nach dem Tierschutzgesetz nur dann möglich, wenn die Tiere an wechselnden Orten nur unter erheblichen Schmerzen, Leiden oder Schäden gehalten oder transportiert werden könnten, so eine Sprecherin. Von den Ländern gebe es dazu keine ausreichenden Erkenntnisse. „Der Einführung eines solchen Verbots sind verfassungsrechtlich hohe Hürden gesetzt.“

Circusfreunde: Existenz vieler Unternehmen wäre gefährdet

Die Hürden, von denen die Rede ist, sind vor allem Eingriffe in die Berufsfreiheit. Ein Tierlehrer, der auf Elefanten spezialisiert sei, könne nicht plötzlich ein anderes Tier trainieren, erklärt Frank Keller vom Berufsverband der Tierlehrer. Er könne auch nicht einfach so im Zoo arbeiten. Ein Verbot wäre aus Sicht der Gesellschaft der Circusfreunde, der rund 2000 Mitglieder aus der Zirkus-Szene angehören, völlig überflüssig. Viele Zirkusse gingen längst von sich aus über die Anforderungen der Leitlinien hinaus, sagt Präsident Helmut Grosscurth. Und für viele Betriebe seien die Tiere überlebenswichtig: „Ein Verbot bestimmter Tierarten im Zirkus würde die Existenz zahlreicher Zirkusunternehmen infrage stellen.“

Außerdem: Wildtiere seien nicht mehr „wild“, sagt Keller. Die meisten seien in menschlicher Obhut geboren und hätten andere Anforderungen als ihre wilden Artgenossen. Dem stimmt Tierarzt Jörg Pfeiffer zum Teil zu. Er arbeitet für ein Veterinäramt, das unter anderem Zirkusse kontrolliert. „Wenn man Funktionen ersetzt, braucht das Wildtier nicht all das, was es in der wilden Freibahn macht.“ Affen und Bären kann man aus seiner Sicht nicht artgerecht halten, auch die Haltung von Elefanten sieht er kritisch. Bei Löwen dagegen wäre das unter bestimmten Umständen möglich.

Voraussetzung aber sei, dass der Zirkus Sachkunde hat, sagt Pfeiffer. „Hier hapert es.“ Einige Zirkusbetriebe seien auf dem Stand von vor 20 Jahren, und es gebe nur wenige Fortbildungsmöglichkeiten für die Tierlehrer. Deswegen fordert Pfeiffer Kurse, die eigens für Zirkusse entwickelt werden. Aber: „Ein Verbot für Wildtiere jeglicher Art halte ich nicht für gerechtfertigt“, sagt Pfeiffer.

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