Schatzsuche auf Sächsisch
Es herrscht Schatzfieber in Deutschneudorf. Dort suchen sie den verschollenen Gral der Gegenwart, das sagenumwobene Bernsteinzimmer. Ein 1200-Seelen-Dorf im Erzgebirge ist Schauplatz einer Provinzposse.
DEUTSCHNEUDORF „Der Peter hat wieder eine Spur“ – seit diese Meldung vor ein paar Wochen in Deutschneudorf die Runde machte, ist es mit der idyllischen Ruhe in dem 1200-Seelen-Dorf im Erzgebirge direkt an Grenze zu Böhmen vorbei. Denn „der Peter“ heißt mit Nachnamen Haustein und ist nicht nur der Bürgermeister des Ortes, sondern auch einer jener vom offensichtlich unheilbaren Schatzfieber besessenen Jäger nach dem verschollenen Gral der Gegenwart, dem sagenumwobenen Bernsteinzimmer.
Als er nun vor zwei Wochenfrist in einer Pressemeldung das Pubilcity-wirksame Stichwort „Bernsteinzimmer“ fallen ließ, reagierten sie denn auch prompt alle: Aus Russland, China, der Ukraine, England und den USA reisten Reporter und TV-Teams in das verschlafene Erzgebirgsnest im Schweinitztal. Und Haustein genießt wieder einmal das Interesse der Weltpresse.
Schon vor zehn Jahren hatte er seinen Ort in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gebracht. Auch damals glaubte er, kurz vor der Entdeckung des Bernsteinzimmers zu stehen. Dieses einstige Geschenk des preußischen Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. an den russischen Zaren Peter den Großen, einer der größten Schätze des europäischen Kulturerbes, war 1941 von deutschen Soldaten in der Zarenresidenz bei St. Petersburg demontiert und nach Königsberg in Ostpreußen gebracht worden, von wo sich seit Kriegsende jede Spur verliert.
1998 glaubte auch Peter Haustein kurz vor der Lösung des Geheimnisses zu stehen. Im aufgelassenen Erzstollen „Fortuna“ in Deutschneudorf sollten die Nazis 1945 das Bernsteinzimmer versteckt haben. Gefunden wurde damals nichts.
Aber diesmal wollte Haustein es wissen: Von seinem Schatzsucher-Kollegen Christian Hanisch aus Schleswig-Holstein hatte er einen ganz heißen Tipp bekommen. Im Nachlass seines Vaters, der im Zweiten Weltkrieg Funker und Navigator der Luftwaffe war, hatte Hanisch Aufzeichnungen über einen Geheimtransport der SS gefunden. Die dort verzeichneten Zielkoordinaten verwiesen metergenau auf Deutschneudorf.
Seit vergangenen Dienstag trieb nun schweres Bohrgerät Suchloch um Suchloch in das angegebene Gelände – bislang leider erfolglos. Gestern wurden die Bohrungen eingestellt. Vorerst. Und Haustein, der seinen Ort im Internet schon tourismuswirksam in „Bernsteinzimmerdorf“ umgetauft hatte, geriet in Erklärungsnot. „Wir haben uns wohl ein bisschen verschätzt“, gestand er.
Zu ungenau vielleicht die angegeben Koordinaten. Und: „Wir schaffen hier gerade mal drei Löcher am Tag, müssten aber wahrscheinlich 100 bohren.“ Jetzt sollen Geophysiker das Gebiet neu untersuchen.
Doch Haustein bleibt sich sicher: „Hier sind hundertprozentig Schätze aus der braunen Zeit versteckt.“ Schließlich hätte ein Hightech-Suchgerät schon „zweifelsfrei einen Hohlraum mit Kisten, voll Gold oder Silber“ geortet. Mindestens 1,9 Tonnen. Dabei vielleicht eben auch eine neue Spur zum Bernsteinzimmer.
Die Deutschneudorfer jedenfalls, die den FDP-Mann Haustein, den einzigen größeren Unternehmer im Dorf, erst mit 99,7 Prozent wieder zum Bürgermeister gewählt haben, stehen hinter ihrem Peter.
„Der ist doch ein toller Mann“, sagt eine ältere Einwohnerin. „Der macht wenigstens was.“ Und fügt augenzwinkernd hinzu: „Ohne die Sache mit dem Bernsteinzimmer käme doch kein Schwein ins Schweinitztal.“ Fritz Janda