Schande von Lampedusa

300 Flüchtlinge ertrinken auf dem Weg nach Europa: Die Tragödie vor Lampedusa erschüttert Italien und den Kontinent. Ändert sich jetzt die Flüchtlingspolitik?
Matthias Maus |
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300 Flüchtlinge ertrinken auf dem Weg nach Europa: Die Tragödie vor Lampedusa erschüttert Italien und den Kontinent. Ändert sich jetzt die Flüchtlingspolitik?

 Taucher, Sanitäter, die Bürgermeisterin auf Lampedusa: Sie kennen das Leid der Flüchtlinge. Doch die Tragöde vom Donnerstag stellt alles in den Schatten. Alle sind fassungslos: „Es war wie im Horrorfilm“, sagt der Taucher. „Wir haben keine Hoffnung mehr“, sagt ein Offizier der Finanzpolizei. „Nach diesen Toten erwarten wir, das sich etwas ändert“, sagt Giusi Nicolini, die Bürgermeisterin. Wird sich etwas ändern?

Die Zahl der Opfer bei der jüngsten Flüchtlingstragödie dürfte auf über 300 steigen. Über 300 Männer, Frauen und viele Kinder aus Somalia oder Eritrea sind im Morgengrauen ertrunken, weil ihr Schiff gesunken ist, bei ruhigem Wetter, keinen Kilometer vom rettenden Ufer entfernt.

„Wir haben die Schreie gehört“, sagt Alessandro Marino, der mit seiner Freundin als erster am Unglücksort war. Das Paar hatte die Nacht in seinem Boot vor der Küste verbracht. Gemeinsam zogen sie Menschen an Bord: „Wir haben 47 gerettet – mehr ging nicht, sonst wären wir selber gesunken“, sagt Marino. Und: „Irgendwann wurden die Schreie schwächer.“

20 Meter groß war das Flüchtlingsboot, es kam aus Misurata in Libyen, zirka 500 Menschen waren Bord, viel zu viele, als die Maschine ausfiel. Weil sie niemand bemerkte, hatte jemand eine Decke angezündet. Das Feuer breitete sich aus, die Menschen flüchteten zur anderen Seite, das Boot bekam Schlagseite, es kenterte. Die Menschen, entkräftet von der langen Reise, die wenigsten konnten schwimmen, sie stürzten in den Tod.

155 Personen wurden gerettet, die Küstenwache hat dramatische Aktionen gefilmt. Aber an Land, und unten auf dem Meeresgrund: der Alptraum.

"Es war wie im Horrorfilm“, sagte der Taucher Rocco Canell. Er war einer der ersten, die das Wrack in 40 Metern Tiefe sahen: „Da unten ist eine Masse von eingeklemmten Körpern, einer über dem anderen im Laderaum“, sagt er. „Zwei klammern sich an die Bordwand, sie sind mit dem Schiff gesunken.“ Auch um das Wrack: „Dutzende von Toten auf dem Meeresgrund.“

Die Taucher arbeiteten die ganze Nacht, obwohl das Wetter schlechter geworden war. Bis zum Freitag bargen die Retter 130 Leichen.

In Italien herrschte Staatstrauer. In den Schulen wurde der Toten gedacht. „Wir werden laut unsere Stimme erheben“, sagt Italiens Innenminister Angelino Alfano. „Das ist ein europäisches Drama.“ Das Meer sei „eine Grenze zwischen Afrika und Europa“. Staatspräsident Giorgio Napolitano sagt: „Wir müssen die Regeln überprüfen.“ Eine Neuregelung müsse „unseres Landes würdig sein und den Prinzipien von Menschlichkeit und Solidarität entsprechen“.

Papst Franziskus, der im Juli seine erste Reise außerhalb Roms nach Lampedusa unternommen hatte, äußerte sich wütend: „Heute ist ein Tag des Weinens“, sagt er beim Besuch in Assisi.Er beklagte die „Gleichgültigkeit gegenüber jenen, welche die Sklaverei, den Hunger fliehen, um die Freiheit zu suchen, und den Tod finden“.

Bundespräsident Joachim Gauck sagte, „Zuflucht Suchende sind besonders verletzliche Menschen. Sie bedürfen des Schutzes“. Sie „hineinsegeln zu lassen in einen vorhersehbaren Tod missachtet unsere europäische Werte“. Seit den neunziger Jahren sind schätzungsweise 200000 Menschen über die Insel im Mittelmeer nach Europa gekommen. Die Zahl der Todesopfer kann nur geschätzt werden. Die Organisation für Migration spricht von 25.000 Toten in den letzten beiden Jahrzehnten.

Die Tragödie war die zweite in einer Woche. Am Montag waren zwölf Flüchtlinge vor Lampedusa ertrunken. Die Reise der Bootsflüchtlinge wird jetzt von Tag zu Tag gefährlicher. Die Herbststürme stehen bevor. Die Schlepper werden die Schiffe noch voller beladen. Keiner der Flüchtlinge will den Winter an den Küsten Nordafrikas abwarten. Die nächste Katastrophe ist eine Frage der Zeit.

 

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