Saufen, bis der Schaffner kommt

Das hatte sich der neue Bürgermeister der englischen Hauptstadt anders vorgestellt: Mit einem Alkoholverbot für den öffentlichen Nahverkehr wollte Boris Johnson das Kampftrinken unterbinden. Zunächst einmal ist das Gegenteil passiert.
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Ein letztes Mal wollten sie in der U-Bahn anstoßen
dpa Ein letztes Mal wollten sie in der U-Bahn anstoßen

Das hatte sich der neue Bürgermeister der englischen Hauptstadt anders vorgestellt: Mit einem Alkoholverbot für den öffentlichen Nahverkehr wollte Boris Johnson das Kampftrinken unterbinden. Zunächst einmal ist das Gegenteil passiert.

Peter Moore definierte sein Ziel ganz klar, bevor er seine Bierdose in zehn Sekunden leerte: «Ich fahre so lange, bis ich kotze.» Der 35-Jährige war einer unter Tausenden, die sich in der Nacht zum Sonntag ein letztes Mal in der Londoner U-Bahn volllaufen ließen: Mit der Saufparty protestierten die Trinkfreunde gegen das strikte Alkoholverbot in der «Tube», das von diesem Sonntag an gilt. Das Vorhaben artete in ein Chaos aus, das den U-Bahn-Verkehr der britischen Hauptstadt streckenweise lahm legte.

Doch das Problem Volltrunkener ist nicht nur eines der Londoner U- Bahn: «Binge Drinking», zu Deutsch Kampftrinken, wird im Vereinten Königreich vor allem unter Jugendliche zu einem immer größeren Problem. Die Regierung versucht verzweifelt, der Sache Herr zu werden. Für Londons neuen, konservativen Bürgermeister Boris Johnson lag es zunächst nahe, das hemmungslose Trinken in allen U-Bahnen, Bussen und Trambahnen zu verbieten. Sicherer und angenehmer soll das Reisen dadurch werden. Doch am Samstagabend verwandelte sich das U-Bahnnetz in eine große Partyzone, nachdem sich die Menge über das Internet für die Megasause namens «Last Orders» (letzte Runde) organisiert hatte. Tausende Trinkfeste bevölkerten die Bahnsteige und hielten die Polizei in Atem. Sechs Stationen, darunter die Liverpool Street, mussten gesperrt, und beschädigte Züge aus dem Verkehr gezogen werden. Die Polizei nahm 17 Menschen fest, weil sie randalierten oder völlig betrunken waren.

Halb-Bewusstlose in Bahnhöfen

Nicht nur in den überfüllten Wagen der zentralen Circle Line übergaben sich die, die zu tief ins Glas geschaut hatten. Einen Fotografen erinnerten die Szenen an eine «randalierende Menge Fußballfans». «Es war für mich schon schlimm. Doch wenn ich eine Mutter mit Kind oder ein Tourist gewesen wäre, es wäre ein Albtraum gewesen», sagte er. Der Albtraum spielt sich für viele Menschen in zahlreichen britischen Städten ab, denn die Komasäufer prägen das Stadtbild vor allem am Wochenende. Nahezu bewusstlos liegen die Besoffenen am Londoner Piccadilly Circus genauso wie in der Innenstadt von Edinburgh oder Manchester. Sorgen macht dabei, das zarte Alter vieler «Kampftrinker». Auch torkeln auffallen oft Mädchen oder junge Frauen durch die Straßen.

Teenager: 177 Pints im Jahr

«Gruppen von unter 18-Jährigen, die sich in der Öffentlichkeit betrinken, sind ein allzu vertrauter Anblick», sagte Innenministerin Jacqui Smith. Trinken «erhöht die Kriminalität, macht junge Menschen verletzbar, und ich will dem einen Riegel vorschieben.» Nach einer aktuellen Studie der Universität Liverpool unter 15- bis 16-Jährigen in Nordengland trinken diese im Durchschnitt 44 Flaschen Wein und 177 Pints (ein Pint ist etwa ein halber Liter) Bier pro Jahr.

Strafe für nachlässige Eltern

In ärmeren Gegenden trinken demnach 40 Prozent der Jugendlichen übermäßig Alkohol. Dabei spielen vor allem die Eltern eine ausschlaggebende Rolle. So ergab eine andere Umfrage unter Neun- bis Elfjährigen, dass ein Drittel es für normal hält, dass Erwachsene pro Abend fünf oder mehr Gläser Wein trinken. Deshalb will sich die Regierung nun die Eltern vorknöpfen. Nach neuen, am Sonntag veröffentlichten Plänen sollen Eltern in England, die ihren minderjährigen Kindern erlauben, übermäßig Alkohol zu trinken, strafrechtlich verfolgt werden können. Auch zu «Erziehungskursen» sollten sie beordert werden, kündigte Innenministerin Smith an. Andere Pläne sehen vor, das Trinken - nicht nur in der U-Bahn - sondern in der gesamten Öffentlichkeit für unter 18-Jährige zu verbieten. (Annette Reuther, dpa)

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