Interview

Sauf-Tourismus immer größer und beliebter: Experte erklärt den Grund

Riesige Kreuzfahrtschiffe, Sauf-Urlaube, überfüllte Städte und Strände: Kann das auf Dauer so weitergehen? Ein Experte erklärt, wie es um den Tourismus steht.
von  Ralf Müller
Weg vom Sauf-Tourismus? In Mallorca fährt die Regierung einen Zick-Zack-Kurs.
Weg vom Sauf-Tourismus? In Mallorca fährt die Regierung einen Zick-Zack-Kurs. © Video Media Studio Europe/Shutterstock

Mallorca, Dubrovnik und Venedig: Beliebte Touristenziele, die sich im Laufe der Jahre immer größeren Massen an Reisenden ausgesetzt sahen und heute unter dem Besucheransturm leiden. 

Das ist die Folge einer Tourismus-ohne-Grenzen-Politik, die einzig und allein auf Wachstum ausgerichtet war, erklärt Markus Pillmayer. Der Tourismus-Professor verrät im AZ-Interview, wie es zu dieser Entwicklung kommen konnte und ob es noch Hoffnung auf Besserung gibt.

AZ: Herr Pillmayer, in diesem Reisesommer häufen sich die Meldungen von Konflikten in den klassischen Urlaubsgebieten – von Wucherpreisen, merkwürdigen Behördenaktionen, Fehlverhalten von Touristen und mehr. Ist das ein neues Phänomen oder haben wir es den Sozialen Medien zu verdanken, dass jedes Vorkommnis hochgespielt wird?
MARKUS PILLMAYER: Die Sozialen Medien haben daran sicherlich ihren Anteil, aber nicht ausschließlich. Wir beobachten einen Prozess, der sich über mehrere Jahre hinweg verstetigt hat. Die Ursachen liegen in Fehlplanungen und Fehlentwicklungen.

Tourismus-Experte Markus Pillmayer.
Tourismus-Experte Markus Pillmayer. © Julia Bergmeister

Meinen Sie den "Overtourism", also die Überflutung bestimmter Hotspots?
Es liegt im Auge des Betrachters, ab wann ein Zuviel wirklich zu viel ist. Wenn es um die "Bereisten", also die Einheimischen geht, kommt mehreres zusammen: zu viel Verkehr, Lärm, Müll, explodierende Mieten, Wohnraum, der für Unterkunftsplattformen zweckentfremdet wird und nicht mehr zur Verfügung steht, und Ähnliches. Das beobachten wir ja auch im Alpenraum.

"Overtourism": "Game of Thrones"-Stadt Dubrovnik als mahnendes Beispiel

Und die Antwort der Tourismuswissenschaft?
Die Frage ist, ob Limitierungsstrategie und Kontingentierungen sowie Preissteigerungen die richtigen Antworten sind. Man sollte sich fragen: Welche Art von Tourismus wollen wir als Einheimische wie auch als Touristen?

Der Markt bietet an, was nachgefragt wird. Also muss wohl jemand anderer steuern?
Nehmen Sie Dubrovnik als Beispiel. Die Stadt war ganz massiv vom "Overtourism" betroffen, und zwar wegen der Fernsehserie "Game of Thrones", bei welcher der Drehort Dubrovnik war. Zum Film-Tourismus kommt die Kreuzfahrtindustrie. Der Film-Hype hat inzwischen etwas nachgelassen. Die Stadt Dubrovnik hat sich mit dem Kreuzfahrtverband darauf geeinigt, nur noch eine bestimmte Zahl von Kreuzfahrtschiffen pro Woche anlegen zu lassen. Die Kreuzfahrtveranstalter haben erkannt, dass es nicht mehr so selbstverständlich ist, einfach nur den Markt und die Nachfrage zu bedienen.

Touristen strömen durch Dubrovnik in Kroatien.
Touristen strömen durch Dubrovnik in Kroatien. © Grgo Jelavic/Pixsell/dpa

Ist das nicht ein seltener Einzelfall einer Selbstverpflichtung der Tourismuswirtschaft?
In Mallorca hatte man das Ziel, weg vom Ballermann-Sauf-Image zu einem mehr nachhaltigen Tourismus zu kommen, der auch in ökologischer Hinsicht sensibler ist. Dazu wurde in Zusammenarbeit mit Reiseveranstaltern und Hotels nach kontroversen Diskussionen eine Obergrenze an Touristen pro Saison festgelegt. Vor einigen Wochen hat es jedoch einen Regierungswechsel auf den Balearischen Inseln gegeben. Die neue konservative Regierung hat die Regulierungen und Begrenzungen wieder zurückgenommen.

"Die Zustände auf Mallorca sind das Ergebnis einer fragwürdigen Tourismuspolitik"

Gerade aus Mallorca gibt es aktuell unerfreuliche Meldungen im Zusammenhang mit dem Tourismus.
Das ist das Ergebnis einer fragwürdigen Tourismuspolitik. Tourismuspolitik hat einen Gestaltungsauftrag, dem sie aber nur stellenweise nachkommt. Fairerweise muss man dazu sagen: Es ist völlig legitim, den Wirtschaftsfaktor Tourismus bedienen zu wollen. Wenn man sich die globale Entwicklung des Tourismus in den letzten Jahren unter Ausklammerung der Pandemie-Jahre anschaut, hat es jedes Jahr neue Rekorde gegeben. Die touristische Nachfrage steigt global. Kann man aber in einer globalisierten Welt, in der alles Wachstum endlich ist, einen Tourismus ohne Grenzen propagieren? Jeder ist Verlierer, wenn Tourismus keine Governance, also keine Steuerung erfährt.

Ist der Tourismus mit immer größeren Kreuzfahrtschiffen eine Fehlentwicklung?
Wenn Sie mich persönlich fragen: Ja. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie man mit vierstelligen Passagierzahlen noch ein authentisches Erlebnis im Sinne von Erholung erfahren können. Die Wertschöpfung verbleibt fast ausschließlich an Bord des Schiffes und nicht in den Destinationen, wo angelegt wird. Die Reisenden werden wie die Kälber beim Viehscheid auf festgelegten Routen durch die besuchten Orte geführt. Wer an der Hauptstraße liegt, profitiert davon massiv, aber alle anderen haben davon überhaupt nichts. Aber es gibt Menschen, für die ist eine Kreuzfahrt das Höchste der Gefühle.

"Der Party- und Sauftourismus hat mit der gesellschaftlichen Entwicklung zu tun"

"Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet", hat Hans Magnus Enzensberger gesagt. Stimmen Sie zu?
Bis zu einem gewissen Punkt. Die Frage ist: Mache ich das bewusst oder unbewusst? Die Eigenverantwortung spielt eine zentrale Rolle. Wenn Sie irgendwo hinfahren und weder links noch rechts schauen im Sinne eines Trumpismus – also "Me first" –, dann folgen Sie dieser Denke von Enzensberger. Es gibt aber auch eine andere Art von Tourist, der seinen Fußabdruck möglichst verträglich gestalten möchte, der einen Beitrag zur regionalen Wertschöpfung leisten will, mit den Einheimischen in Kontakt kommen und der nicht alles mit dem Auto fahren möchte. Solche Touristen brauchen wir. Ich hoffe, dass die Reiseveranstalter und Destinationen von dem, was wir in diesem Jahr erleben, lernen.

Wie passt da der zunehmende Sauf- und Partytourismus ins Bild?
Das Phänomen, aus dem Alltag auszubrechen, ist nichts Neues. Wir erleben aber zusätzlich eine Verrohung der Gesellschaft und des Umgangs miteinander. Die Sozialen Medien transportieren Dinge, die früher absolute "No-Gos" gewesen wären. Der Party- und Sauftourismus hat mit der gesellschaftlichen Entwicklung zu tun. Da muss man auch die Frage nach der unternehmerischen Verantwortung der Reiseveranstalter stellen, die durchaus einen gewissen Einfluss haben. Neben Mallorca ist übrigens auch Ischgl in Tirol ein Negativ-Beispiel. Hat Ischgl irgendetwas aus der Pandemie gelernt? Ich hatte diese Hoffnung, aber die nüchterne Analyse zeigt: nein.


Zur Person: Markus Pillmayer ist Tourismus-Professor an der Hochschule für angewandte Wissenschaften. Zu seinen Schwerpunkten gehören Destinationsmanagement und -entwicklung, Gesundheitstourismus, Tourismuspolitik und nachhaltiger Tourismus.

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