Rückkehr mit Happy End

Demonstrationen, begeisterter Beifall und Tränen: Jopie Heesters’ großer Auftritt in Amersfoort. Am Ende singt der ganze Saal mit ihm zusammen „Oh mooie Mole“ – der 104 Jahre alte Weltstar ist wieder daheim.
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Musikalischer Protest: Demonstranten sangen beim Schein von Fackeln vor dem Kulturzentrum von Amersfoort.
dpa Musikalischer Protest: Demonstranten sangen beim Schein von Fackeln vor dem Kulturzentrum von Amersfoort.

Demonstrationen, begeisterter Beifall und Tränen: Jopie Heesters’ großer Auftritt in Amersfoort. Am Ende singt der ganze Saal mit ihm zusammen „Oh mooie Mole“ – der 104 Jahre alte Weltstar ist wieder daheim.

Schon am Samstagnachmittag vor dem Auftritt sind die Vorboten eines Kampfes in der Stadt. Polizeimänner patrouillieren durch die knallvolle Fußgängerzone, zu Fuß, zu Pferd und – ganz holländisch – auf dem Fahrrad. In Seitenstraßen sammeln sich Punker-Grüppchen, vor dem Kulturzentrum „De Flint“ stehen weiträumig Absperrgitter und grimmig entschlossen die ersten Demonstranten. Doch es ist weder der G8-Gipfel noch ein neuer Skandalrocker, der hier erwartet wird, sondern ein 104 Jahre alter Operettensänger, der nichts weiter will als noch einmal in seiner Geburtsstadt auftreten.

Amersfoort, schnuckelige Provinz südlich von Amsterdam, ist im Jopie-Fieber – im guten wie im schlechten. Johan Marius Nicolaas Heesters, die lebende Legende der leichten Muse, Film- und Bühnenstar seit einer Zeit, in der Schallplatten noch Schellacks waren und Adolf Hitler ein schlechter Hobbymaler, steht unter Polizeischutz in Amersfoort.

Aktionskomitee "Heesters raus"

Bei einem Urlaub vor ein paar Jahren in der Gegend hat man ihm die Autoscheibe eingeschlagen. Jetzt trommelt das „Aktionskomitee Heesters Raus“ gegen den alten Mann, eine ultralinke Bewegung, die sich „antifaschistisch“ nennt.

Was einige der sonst so entspannten Holländer auf die Barrikaden bringt, ist die seit den 60er Jahren laufende Debatte, ob Heesters ein Nutznießer und Kollaborateur des Nazi-Regimes in Deutschland war, dessen Ranschmeiße an das NS-System in einem Auftritt vor SS-Schergen im Konzentrationslager Dachau gegipfelt habe. Heesters bestreitet das vehement.

Die Fronten sind verhärtet

Seit 44 Jahren konnte er wegen des Konflikts nicht mehr in seiner Heimat auftreten. Die Fronten sind verhärtet, obwohl jüngst gefundene Foto-Dokumente die Vermutung stärken, dass der Tag in Dachau ein von den Nazis erzwungener Künstler-Besuch ohne Auftritt gewesen ist.

Das ist den Demonstranten, es werden etwa 50 bis 100 im Laufe des Abends, erkennbar zu kompliziert: „De zingende Nazi“ haben sie auf Plakaten stehen, sie schwenken rote Fahnen und zünden Fackeln an. Schließlich gibt es Rangeleien mit einer Handvoll echter Neo-Nazis, die obendrein versuchen, auf Heesters’ Rücken eine Propaganda-Aktion zu reiten.

Doch Polizei, Wachmannschaften und Theaterleitung schaffen es, den Demo-Rummel draußen auf der Straße zu halten – die 800 Besucher der ausverkauften Show stehen dafür bis zu einer Stunde vor den scharfen Sicherheitskontrollen. Dann ist klar: Der Abend im „De Flint“ wird Jopie gehören, sonst niemandem.

Ein Traum geht in Erfüllung

Auf holländisch erzählt Heesters’ Ehefrau Simone Rethel (58) zum etwas länglichen Multimedia-Vortrag dem Publikum die Lebensgeschichte des Stars. Dachau wird dabei nicht ausgespart.

Punkt 21 Uhr ist es endlich soweit. Der Vorhang hebt sich – und da steht er, an den Flügel gelehnt und lächelt, wie nur ein 104-Jähriger lächeln kann, für den ein Traum in Erfüllung geht. Das Publikum reißt es sofort von den Sitzen, „Bravo“-Rufe erfüllen den Saal, bevor Heesters überhaupt beginnen kann, mit dem alten holländischen Lied „O Mooie Westerntoren“ die Heimat zu ehren.

Zwei Takte lang sucht seine Stimme die Tonlage, dann ist sie da: Unerreicht leicht, klar und kräftig, nur manchmal in den leisen Passagen etwas brüchig. Er leitet über zu „Ich knüpfte manche zarte Bande“, schlägt keck die Beine übereinander beim Lob der schönen Pariserin wie der schönen Polin, stärkt sich mit einem Schluck Bier („Zum Wohl, die Damen!“) und wird dann mit „Erinnerung“ programmatisch: „Ich hab’ mein Leben gelebt, und mich stets bemüht, den Weg gerade zu gehen…“.

Zehn Lieder werden es insgesamt an diesem Abend, darunter „Ich bin Gott sei Dank nicht mehr jung“ und, natürlich, „Maxim“. Heesters singt bis an den Rand der Erschöpfung, manchmal fehlt ihm der Einstieg in eine Strophe, doch das bekümmert niemanden. Er hält ein ergreifend naives Plädoyer für mehr Frieden unter den Menschen, legt dann alle Theatralik in ein holländisches Gedicht. Am Ende singt der ganze Saal, manche den Tränen nah, mit ihm zusammen „Oh mooie Mole“ – Jopie ist wieder daheim.

Geschafft, aber glücklich wie nie

Angst habe er nicht gehabt vor den Protesten, sagt er nach dem Auftritt, aber froh sei er schon, das alles gut ging. Bis weit nach Mitternacht sieht man ihn bei einem Glas Wein auf der After- Show-Party: Ein 104 Jahre alter holländischer Sänger, ziemlich geschafft, aber glücklich wie nie.

Michael Grill

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