Rückenschmerzen! Deutschlands berühmtester Arzt gibt Tipps
MÜNCHEN - In unserem Rücken arbeiten 300 Muskeln und 600 Sehnen. Fehlhaltungen, mangelnde Bewegung, Übergewicht, große Lasten, Mobbing, Ängste gehen sofort ins Kreuz. Der Rückenspezialist Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer schreibt exklusiv in der AZ, wie Sie Ihren Rücken fit halten können.
Gefühle verändern die Muskelspannung. Menschen, die „die Zähne zusammenbeißen“, verspannen sich im Bereich der oberen Halswirbelsäule. Wer viel ertragen muss, viel „auf dem Buckel“ oder die „Angst im Nacken“ hat, hebt unbewusst die Schultern. 70 Prozent der Rückenleiden haben keine klare Diagnose. Fest steht nur, dass es in über 80 Prozent der Fälle akuter Rückenschmerzen muskuläre Verspannungen sind, die ursächlich wirken, während die vielfach vermuteten Verschleißerscheinungen gerade mal mit zehn und die Bandscheibenvorfälle gar nur mit vier Prozent zu Buche schlagen. Die ständige Fehlhaltung am Computer zum Beispiel lässt sich nicht wegoperieren, sie muss geändert werden. Die Zahl der Rückenerkrankungen steigt stetig an, um circa 30 Prozent allein in den letzten zehn Jahren. Keine andere Zivilisationskrankheit, von den Folgen des Bluthochdrucks abgesehen, hat mittlerweile derartige Ausmaße erreicht. 23 Milliarden Euro jährlich kosten die Behandlungen, Tendenz steigend. Nicht zu reden von den 27 Milliarden, die durch rückenbedingte Arbeitsunfähigkeit anfallen. Auch von daher ist es höchste Zeit umzudenken, in der Medizin, in der Gesundheitspolitik und in unserem Alltagsverhalten.
Die Sitz-Krankheit: Das Hauptproblem ist: wir bewegen uns nicht mehr genug - mit fatalen Folgen für den Rücken. Muskeln verkümmern und die Bandscheiben schrumpfen. Der Bewegungsmangel beginnt schon im Kindesalter. Im Durchschnitt bewegen sich unsere Schulkinder heute nur noch 50 Minuten pro Tag (Empfehlung: mindestens 60 Minuten), sitzen aber bis zu 40 Stunden in der Woche vor dem Fernseher oder vor dem Computer. So haben bis zu 30 Prozent der Schulkinder Haltungsschäden und 70 Prozent klagen über gelegentliche Rückenschmerzen. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran. Motivieren Sie sich und Ihre Kinder zu mehr Bewegung. Schon zehn Minuten Gymnastik täglich reichen.
Welcher Sport ist gut? 80 Prozent der chronischen Rückenschmerzen entstehen durch schlaffe, untrainierte Rückenmuskeln. Wer durchtrainiert ist, federt sein Gewicht ab und entlastet die Wirbelsäule.
Schwimmen ist gutes Krafttraining für die Wirbelsäule. Rückenschwimmen und Kraulen sind rückenfreundlicher als Brustschwimmen.
Radfahren, Joggen oder Wandern sind gut für den Rücken und den Kreislauf.
Tanzen halte ich für ein ausgezeichnetes Training. Es stretcht den Körper, löst Blockaden, fördert die Koordination. Und die Musik entspannt zusätzlich. Grundsätzlich gilt, dass einseitige Gelenkbelastungen oder Haltungen auch beim Sport vermieden werden sollen.
Tipps für den Alltag: Entlasten Sie bei Ihren Alltagstätigkeiten die Wirbelsäule.
Beim Gehen: Die meisten Menschen gehen heute nicht mehr aufrecht. Das belastet die Wirbelsäule unnötig. Hochgezogene Schultern sind ein typisches Merkmal für Stress und Bewegungsmangel. Achten Sie darauf – und korrigieren Sie Ihre Haltung.
Im Büro: Stundenlanges Sitzen ist Gift für die Wirbelsäule, aber die Regel für Millionen von Berufstätigen und Computer-Kids. Mit regelmäßigen Übungen kann man Haltungsschäden vorbeugen. Allerdings ist dafür auch ein Mindestmaß an Disziplin erforderlich. Alle ein bis zwei Stunden sollten Sie Dehn- und Lockerungsübungen machen. Speziell für Vielsitzer und PC-Nutzer gibt es Übungen, die ohne großen Aufwand durchgeführt werden können.
Beim Heben: Heben Sie schwere Lasten mit gebeugtenBeinen nah am Körper. Halten Sie dabei den Rücken möglichst gerade. Wenn Sie schwere Einkaufstüten tragen, belasten Sie beide Seiten möglichst gleich. Achten Sie bei der Gartenarbeit auf rückenfreundliche Haltung. Wechseln Sie beim Autofahren auf längeren Strecken alle 15 bis 30 Minuten die Sitzhaltung.
Beim Schlafen sollte der Körper per Matratze gestützt werden. In der Seitenlage hilft ein kleines Kissen, um Zwischenraum zwischen Gesicht und Matratze auszufüllen.
Fazit: In Bewegung bleiben, sich ausgewogen ernähren, auch mit Genuss essen und sich die Lebensfreude bewahren, das sind die besten Rezepte. Kein Arzt und keine Medizin können mehr für unseren Rücken und unsere Gesundheit tun als wir selbst.
Dietrich Grönemeyer
Dietrich Grönemeyer hat „Das Grönemeyer Rückentraining“ geschrieben. 240 S., 19,95
(ISBN 978-3-89883-253-3)
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