"Riesengroße Chance für den Nachwuchs": Das rät Star-Koch Jamie Oliver im AZ-Interview

München - Wie kann man einfach kochen, ohne dabei den Spaß zu verlieren, warum hat deutsches Essen in Großbritannien nicht den besten Ruf und was haben die Italiener in der Küche richtig gemacht. Über das und mehr spricht der britische Star-Koch Jamie Oliver (49) im AZ-Interview.
AZ: Mister Oliver, Ihr Buch "Simply Jamie" soll zeigen, dass Kochen schnell und einfach gehen kann. Warum die Eile?
JAMIE OLIVER: Tatsächlich wurde in Großbritannien noch nie so wenig gekocht wie heute. Wir können das unter anderem deshalb so genau sagen, weil wir wissen, was die Leute kaufen, und das sind keine frischen Zutaten wie Gemüse, sondern vor allem Gerichte zum Aufwärmen und vorverarbeitete Lebensmittel. Vor 25 Jahren, als ich mit meiner ersten Show "The Naked Chef" (Der nackte Koch, d. Red.) auf Sendung ging, nahmen sich die Menschen im Königreich im Schnitt 46 Minuten pro Tag Zeit zum Kochen. Vor der Pandemie waren es im Durchschnitt 23 Minuten und laut aktuellen Daten sind es heute schätzungsweise noch 19 Minuten.
Jamie Olivers Spezialdisziplin: Einfache Gerichte schnell umsetzen
Woran liegt das?
Die Menschen haben wenig Selbstvertrauen, wenn es ums Kochen geht. Viele haben schließlich weder in ihrem Elternhaus noch in der Schule gelernt, wie man das macht – das gilt für Großbritannien genauso wie für Deutschland. Wenn sie es dann versuchen, haben sie schnell das Gefühl, gescheitert zu sein, weil es nicht gut genug schmeckt. Dann bestellen sie lieber etwas. In der Hierarchie der Entscheidungen steht über dies immer die Bequemlichkeit an erster Stelle, dann kommt der Preis und am Schluss steht dann erst die Gesundheit.
Warum in Großbritannien aus finanziellen Gründen wenig gekocht wird
Zur Wahrheit in Großbritannien gehört aber doch auch, dass in manchen Familien hauptsächlich aus finanziellen Gründen womöglich gar nicht oder nur wenig gekocht wird.
Ja, etwa 2,1 Millionen Kinder im Vereinigten Königreich haben aus diesem Grund Anspruch auf kostenlose Mahlzeiten in der Schule. Das ist etwa ein Viertel aller Schüler. Sie kommen aus Familien, die insgesamt weniger als 7200 Pfund (rund 8600 Euro, d. Red.) im Jahr verdienen. Es handelt sich also um sehr arme Familien. Jedes entwickelte Land sollte so etwas für Kinder anbieten, um die Schwächsten zu versorgen.

Sie setzen sich seit Jahren für besseres Schulessen in Großbritannien ein. Was hat sich seitdem verbessert?
Vor 17 Jahren gab es sehr strenge Regeln, wenn man Hundefutter für den Verkauf in Supermärkten herstellen wollte, aber keine für das Essen in Schulen. Das war unsere Mentalität. Davon ausgehend hat sich vieles verbessert. Wir haben jetzt Richtlinien und gesetzliche Standards für ein gutes Mittagessen für Kinder unterschiedlichen Alters als Referenz.
In Großbritannien gibt es etwa 25.000 Schulen, die auf Hügeln, in Tälern oder auf kleinen Inseln liegen. Dort arbeiten Tausende Küchen und Köche. Kommt es da zu Problemen? Ja, natürlich. Können wir herausfinden, welche Probleme das sind? Nicht wirklich, denn es wird nicht erfasst, wer sich an die Vorschriften hält und wer nicht. Aber wir machen definitiv Fortschritte und werden immer besser, und das ist sicher eine gute Entwicklung.
Star-Koch Jamie Oliver: "Das deutsche Essen wurde falsch vermarktet"
Das deutsche Schulessen steht in der Kritik. Je nach Schule ist es gewissermaßen Glückssache, ob ein Kind eine gesunde Mahlzeit bekommt oder eben nicht.
Deutschland hat viel zu bieten. Die Menschen und Unternehmen sind innovativ, technisch versiert und kreativ. Aber in den politischen Entscheidungen spiegelt sich das nicht unbedingt wider. Veränderungen lassen auf sich warten. In Deutschland gehen mehrere Millionen Kinder an rund 190 Tagen pro Jahr zur Schule. Das ist doch eine riesengroße Chance, um positiv auf die Ernährung des Nachwuchses einzuwirken und damit in die Zukunft des Landes zu investieren.
Wenn ein Kind ein gutes Frühstück und eine ausgewogene Mahlzeit bekommt, hat es bessere Möglichkeiten, gute Noten zu erreichen, die Schule gesünder zu verlassen und als Erwachsener und Elternteil länger gesund zu bleiben. Das wäre die beste Verwendung deutscher Steuergelder.
Im Video: Wie man den perfekten Rinderbraten zubereitet, nach Jamie Oliver
Deutsches Essen hat in Großbritannien nicht unbedingt den besten Ruf. Wie sehen Sie das?
Ich finde, die deutsche Küche ist sehr, sehr gut und ihre Geschichte ist wirklich spannend. Es gibt etwa im Schwarzwald und in Bayern, aber natürlich nicht nur dort, großartige Köche und faszinierende Gerichte. Aber ich glaube, Deutschland hat sich – wie Großbritannien im Übrigen auch – in der Vergangenheit falsch vermarktet. Ich meine, schauen Sie sich die Italiener an und die Begeisterung für ihre Tomatengerichte. Die Tomaten sind nicht einmal ihre eigenen. Sie kamen aus Südamerika nach Europa. Vor 400 Jahren gab es in Italien nichts Rotes zu essen, alles war braun. Aber die Italiener haben viel Energie investiert, um sich besser zu vermarkten. Vielleicht können die Deutschen und auch die Engländer davon etwas lernen.
Was Weihnachten auf den Tisch kommt
Weihnachten ist das Fest, bei dem sich alles um traditionelle Gerichte dreht. Was kommt denn bei Ihnen auf den Tisch?
Es gibt immer einen Truthahn, ganz klassisch, mit all den Beilagen und Soßen. Aber ich bereite auch gerne eine Gans zu, eine leckere gebratene Gans, das ist ja auch sehr deutsch. Und ich probiere auch gerne mal etwas anderes aus. Das kann eine Porchetta sein. Ich mag also das Italienische, was man "arrosto misto" nennen würde. Da gibt es gebratenen Truthahn, gebratenes Schwein, gebratene Gans und dann kann jeder ein wenig von allem haben. Die Leute sagen ja oft: "Oh, das mag ich nicht." Und dann probieren sie es und mögen es doch. Danach habe ich all diese wunderbaren Reste für die Tage nach Weihnachten.
Das klingt ambitioniert. Haben Sie einen Tipp, wie man das Weihnachtsessen stressfrei gestalten kann?
Meine Philosophie für Weihnachten ist, dass man so geplant vorgehen muss wie bei der Landung eines Flugzeugs. Man muss wissen, was man kochen will, wie lange es dauert, und dann werden die Vorbereitungen von diesem Zeitpunkt aus rückwärts getaktet. Man kann kleine Dinge im Voraus zubereiten und sie im Kühlschrank oder in der Tiefkühltruhe aufbewahren, etwa bunte Eiswürfel für Cocktails.
Der Tisch kann schon gedeckt werden. Im Prinzip ist wirklich vieles im Vorfeld möglich. Auch wenn man von Natur aus eher chaotisch ist, kann man sich mit einer guten Organisation später mehr Zeit nehmen, um sich mit der Familie zu entspannen, und das Essen schmeckt dann auch deutlich besser. Denn bei einem Abendessen, bei dem der Gastgeber gestresst ist und schwitzt, weil er zu viel zu tun hat, möchte niemand dabei sein.