Rentner fährt seine Frau tot - aus Liebe

Der 85-jährige Mann will gemeinsam mit seiner kranken Frau sterben, weil er sie nicht mehr pflegen kann. Doch er überlebt. Das Gerichtsurteil
Bonn Er hat seiner Ehefrau versprochen, immer für sie da zu sein. In guten und in schlechten Zeiten. 65 Jahre lang waren sie verheiratet. Die ganz große Liebe. Dann werden die Zeiten für das Paar schlecht, sehr schlecht: Beide über 80 Jahre alt, sie dement, er herzkrank und kurz vor dem Erblinden. Die 81-Jährige muss in einer Tagespflegestelle betreut werden. Sein Versprechen brechen und seine geliebte Frau in fremde Hände weggeben? Den Gednaken kann der 85-jährige Bonner nicht ertragen. Er trifft im vergangenen Jahr einen dramatischen Entschluss: Er will seine Frau und sich bei einem Autounfall absichtlich töten. Gemeinsam sterben, sodass keiner allein bleiben muss. Das ist sein Plan. Doch der Mann überlebt den Unfall. Er wird wegen Mordes angeklagt. Gestern ist nun das Urteil gefallen: zwei Jahre auf Bewährung.
Der Fall des damals völlig verzweifelten Rentners berührte auch das Bonner Gericht. Die Anklage gegen den schmalen, weißhaarigen Mann lautete eigentlich heimtückischer Mord. Doch selbst der Oberstaatsanwalt, Robin Faßbender, wollte den Mann nicht im Gefängnis sehen. Zwei Jahre auf Bewährung, so lautet schließlich seine Forderung. Die milde Strafe ist außergewöhnlich: „Dass ich jemals in meinem Leben wegen eines Tötungsdeliktes eine Bewährungsstrafe fordern würde, hatte ich mir nicht vorstellen können“, sagte der Staatsanwalt an einem der Prozesstage. 25 Jahre arbeitet er schon als Staatsanwalt. Einen solchen Fall hatte Faßbender noch nie.
Gericht: Er wollte nur das Beste für seine Frau
Das Gericht begründete die Entscheidung so: Der Mann habe in dem Glauben gehandelt, das Beste für seine schwer kranke Frau zu tun. Das sah auch der Staatsanwalt so: Es ging nicht um den 85-Jährigen, davon war Faßbender überzeugt. Es ging nicht darum, dass es ihm zu viel wurde, dass er sie nicht pflegen wollte, dass ihn die kranke Frau belastete.
Es ging einzig und allein darum, was aus ihr werden würde, wenn er selbst sie nicht mehr versorgen könnte. „Seine Frau stand bei allem, was er tat, im Vordergrund. Es ging nie um ihn – auch bei der Tat nicht“, so Faßbender.
Es ist der 9. November 2014. Schon in der Nacht zuvor hat der Rentner keine Minute geschlafen. In seinem Kopf kreisen die immer gleichen Gedanken: Eine Operation am Bauch und am Auge stehen bei ihm kurz bevor. Was ist, wenn auch er ein Pflegefall wird? Zudem hat er Herzprobleme. Mit 59 Jahren bekam er schon mehrere Bypässe. Der 85-Jährige findet darauf keine Antwort, die Situation erscheint ihm aussichtslos. Deswegen will er sich selbst und die 81-Jährige umbringen. Über diesen Selbstmord-Plan mit ihr gesprochen habe er nicht, hieß es vor Gericht.
Am Tag des Unfalls macht der Mann noch ein schönes Frühstück
An diesem Tag bereitet er noch ein „leckeres Frühstück“ zu, er will sie noch einmal verwöhnen, liest sein Verteidiger eine Stellungnahme im Gericht vor. Dann sagt er ihr: Sie machen einen Ausflug zur Tochter. Stattdessen fährt er auf die Bundesstraße B 56, sucht einen Baum aus. Er fährt immer wieder hin und her, bis er „freie Bahn“ hat. Dann steuert er den Wagen gegen den Baum. Er habe „so fest ich konnte aufs Gas“ getreten, so seine Aussage.
Seine Ehefrau wird dabei so schwer verletzt, dass sie zwei Tage später im Krankenhaus stirbt. Er selbst überlebt den Unfall. Mit einer schweren Last: Er hat seine eigene, so innig geliebte Frau umgebracht. Der 60-jährige Sohn sagte vor Gericht: Seine Eltern seien „wie Kletten“ gewesen. Der Rentner versucht später, sich das Leben zu nehmen. Dann bekommt er auch noch die Diagnose: Krebs. Dann die Mordanklage. Das Schlimmste aber ist wohl die Schuld. Sein Vater stehe oft am Grab seiner Frau, erzählt der Sohn, und frage: „Was habe ich gemacht?“