Rechte der Arbeitnehmer: "Sie Ausbeuter!"

Kritik am Chef ist längst nicht immer ein Kündigungsgrund, sondern manchmal durch die Grundrechte gedeckt. Sogar den Boss als „Schwein“ zu bezeichnen kann folgenlos bleiben.
"Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, unser Chef betreibt Ausbeutung und eine menschenverachtende Jagd auf Kranke!“
So ungefähr lautete der Beitrag, den ein Mitarbeiter eines Automobilunternehmens in einem „Informationsblatt“ der Firma veröffentlichte. Die für juristische Laien nicht überraschende Folge: Kündigung!
Doch jetzt erklärte das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg die Entlassung für unwirksam. Begründung: Die Kritik des Klägers sei durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung geschützt. Auch verletze er damit nicht seine arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber dem Unternehmen.
Der Münchner Rechtsanwalt Roland Hasl warnt jedoch davor, das Urteil als Freifahrtschein für gefrustete Arbeitnehmer zu verstehen. „Es kann immer nur unterschiedlichen Entscheidungen des Gerichts kommen.“ Wesentlich für die Rechtfertigung einer Kündigung sei „die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung für den Arbeitgeber nach den gesamten Umständen des Einzelfalls“, heißt es laut Hasl schwammig in den entsprechenden Gesetzestexten. Bedeutet: Die Gerichte haben einen weiten Spielraum.
Trotzdem gibt es einige wegweisende Urteile, an denen sich Juristen derzeit orientiert. Eines davon fällte das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern: In diesem Fall hatte ein Angestellter den Chef im Gespräch mit einem Kumpel als „größtes Arschloch der Welt“ tituliert. Ein anderer Kollege bekam das mit und hatte nichts Besseres zu tun, als sofort zum Boss zu laufen. Der Beleidiger bekam die fristlose Kündigung.
Zu Unrecht, befand das Gericht. Wäre die Beleidigung öffentlich gemacht worden, sei ein Rauswurf möglich. Ein privates Gespräch, zumal unter Nicht-Kollegen, gilt dagegen als vertrauliche Angelegenheit. Wenn dabei allein ein Gesprächspartner oder Außenstehender das Vertrauen breche, könne dies nicht zulasten der übrigen Teilnehmer gehen.
„Es kommt auch auf den üblichen Umgangston an“, betont Hasl. „Und der ist auf einer Baustelle natürlich anders als in einem Büro.“ Entsprechend urteilte auch das Landesarbeitsgericht Nürnberg: Ein Speditionsinhaber verglich die Fahrweise eines Angestellten mit der eines Schweins. Der klagte – und verlor. Begründung: Es sei kein Mobbing, da der Arbeitgeber nicht systematisch vorgegangen sei und ihn rein rechtlich auch nicht beleidigt habe.
Solange die Rechtslage so unklar ist, dürfte die beste Lösung wohl sein: den Ärger runterschlucken. Oder am Wochenende radeln. Möglichst nicht wie ein Schwein.loko