Prozess um Eislingen: Der Tod des Konvertiten

Im Prozess um Eislingen sagt am Mittwoch Andreas H. aus: der 19-Jährige, dessen Familie starb – von seiner Hand, sagt die Anklage. Der Schlüssel ist sein schwieriges Verhältnis zum Vater
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Bestatter beim Abtransport der Leichen (im April): Laut Anklageschrift musste die Familie sterben, weil der Sohn an das Erbe wollte.
AP Bestatter beim Abtransport der Leichen (im April): Laut Anklageschrift musste die Familie sterben, weil der Sohn an das Erbe wollte.

ULM/EISLINGEN - Im Prozess um Eislingen sagt am Mittwoch Andreas H. aus: der 19-Jährige, dessen Familie starb – von seiner Hand, sagt die Anklage. Der Schlüssel ist sein schwieriges Verhältnis zum Vater

Redet er jetzt endlich? Bringt er Licht in das Rätsel, warum zwei junge Männer aus der schwäbischen Provinz so ohne offensichtlichen Grund laut Anklage die Familie des einen umgebracht haben und danach an der Tanke Semmeln kaufen gingen? Im Prozess um Eislingen sagt heute Andreas H. aus: der 19-Jährige, dessen Eltern und zwei Schwestern starben. Bisher hat er geschwiegen, nun sagt sein Anwalt: „Die Vorwürfe werden von meinem Mandanten nicht bestritten.“ Heute wird er selbst gehört.

Geldgier nennt die Anklageschrift als Motiv: Andreas H. wollte an die Erbschaft von 256000 Euro und sie mit seinem Freund und Mittäter Frederik B. teilen. Das aber halten die meisten Beteiligten für unwahrscheinlich – die Anwälte, die Familie von Frederik, die Nachbarn im Ort. Die familiären Verhältnisse seien der Hintergrund, sagen sie alle. Vor allem der Vater von Andreas H. sei der Schlüssel.

Hansjürgen H. (57) war eine Art Konvertit – und entsprechend besonders militant. In seiner Jugend zog er gerne mal Joints durch und betrieb einen kleinen Pornoladen. 1992 änderte er sein Leben radikal, der Umzug nach Eislingen stand für den totalen Neuanfang: Er wurde Heilpraktiker, „um die Menschen nicht nur gesund zu machen wie die Ärzte. Ich will sie heilen“. Er engagierte sich massiv in der Kirche, sang im Chor und wurde Mitglied bei der CDU. Im Ort trat er mit großem Sendungsbewusstsein auf und empfahl einem Handwerker, der ihm den Boden verlegte, „Suppenbrühe mit geschrotetem Dinkelmusmehl“ zu essen, wegen des Stuhlgangs.

In der Familie setzte H. klare Regeln: Die Kinder dürfen nie zum Arzt (nur zu ihm), keine Süßigkeiten, kein Fernseher, gemeinsame Wanderungen mit vorgeschriebenem Proviant (Wasser und ein Apfel pro Person). Die Töchter fügten sich ein. Andreas H. fiel raus, habe sich unverstanden und bevormundet gefühlt, heißt es. In seinem Zimmer versteckte er einen Computer mit Ballerspielen.

Und dann wurden Frederik und er Freunde. Sehr enge Freunde. „Hörig“ sei ihr Sohn gegenüber Andreas nicht gewesen, sagen Frederiks Eltern, aber die Freundschaft sei schon sehr „tief“ gewesen. Gemeinsame Kleiderschränke, viele gemeinsame Übernachtungen, „zarte homoerotische Neigungen“, sagen Frederiks Eltern; Bekannte werden noch deutlicher. Der schüchterne Frederik hat bisher als einziger zugegeben: „Wir waren zusammen.“ Andreas H. hat nach der Tat heulend gefragt, wer zu so einer Tat fähig sei.

Im Gerichtssaal würdigen sich die beiden früheren Freunde, die in unterschiedlichen Haftanstalten untergebracht sind, keines Blickes mehr, berichteten die wenigen zugelassenen Journalisten nach den ersten Prozesstagen. Weil die beiden bei den ersten Straftaten (Diebstahl der verwendeten Waffen) noch minderjährig waren, findet das Verfahren weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Nur einige wenige Plätze wurden verlost, damit nicht „die Stammtische die Deutungshoheit haben“, so das Gericht. Die Verteidiger haben Geständnisse angekündigt. Und heute nun ist Andreas H. mit seinem Auftritt dran.

tan

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