Primitiv, aber glücklich

"Warum gibt es so wenige Frauen beim Comedy? Weil sie 14 Jahre brauchen, um ein Bühnenkleid auszuwählen". Mario Barth reißt seine Zoten für 70 000 Fans in Berlin. Was hinter dem Erfolg steckt.
Eine typische Barth-Geschichte geht so: Er, Mario, steht daheim im Flur, es ist spät, er will mit seiner Freundin auf eine Party – aber „Madame“, so nennt Barth seine Freundin, ist noch immer im Bad und macht sich zurecht. Seit Stunden. Duschen, Haare, Schminken. Und alles nur, umsich nachher stundenlang „bettfertig“ zu machen. Das kann er nicht verstehen, der Mario. Fertig. Das war’s. Keine Geschichte, keine Pointe – und trotzdem kreischt und johlt und tobt sein Publikum. Das tut es bei allem, was der frühere Urlaubsanimateur aus Berlin-Mariendorf auf der Bühne erzählt.
Allein zur Abschlussverantsaltung seiner Tour kamen 70 000 ins Berliner Olympiastadion, vor so vielen Menschen hat noch kein Comedian performt. Doch was heißt hier eigentlich „performen“? Barth hat in Berlin die Bühne exakt so betreten, wie er jede Bühne in den vergangenen zweieinhalb Jahren betreten hat, auf der er sein aktuelles Programm „Männer sind primitiv, aber glücklich“ zum Besten gab: Ein Mittdreißiger in Jeans und T-Shirt, der in Berliner Dialekt von sich und seiner Freundin erzählt – bislang haben sich das rund 1,6 Millionen Menschen angesehen.
Ein großes Phänomen
Ohne Zweifel ist das eine große Leistung des 35-Jährigen, aber mehr noch ist es ein großes Phänomen. Denn, man muss das leider sagen: Barth ist eher nicht witzig, Barth ist eher plump. Seine Geschichten sind oft pointenfrei, dafür immer zotenreich. Er erzählt Mann-Frau-Geschichten, wobei Frauen gerne lange telefonieren, überhaupt viel zu viel reden, viel zu viel einkaufen und viel zu lange im Bad brauchen, während Männer gerne Fußball schauen, Bier trinken und ansonsten Ruhe haben wollen. Und noch ein Bier.
Solche Sachen erzählt Mario Barth, und das Verrückte ist, dass es funktioniert, perfekt funktioniert. Er braucht kein Bühnenbild, kein Licht, keine Musik. Er braucht nur sich, ein Mikrofon, eine Wasserflasche, ein Handtuch für den Schweiß – denn je länger der Abend, desto mehr läuft Barth auf der Bühne auf und ab, reißt seine Augen auf, zieht Grimassen, dynamisiert seine Geschichten mit Einsprengsel wie „Pass uff!“ und „Is wahr!“ – was stimmen mag, die Sache aber auch nicht besser macht. Wahr ist auch, dass es Barth geschafft hat, sich binnen weniger Jahre an die Spitze der internationalen Comedian- Szene zu setzen.
Erfolgreicher als er ist niemand
Erfolgreicher als er ist niemand. Kein Mittermeier, kein Pocher, kein Schmidt. Keiner. Der Mann hat dreimal in Folge den Deutschen Comedypreis gewonnen, so viele Goldene Schallplatten eingeheimst wie sonst nur große Top-Acts, sein Wörterbuch „Frau- Deutsch/ Deutsch- Frau“ hat sich rund 1,5 Millionen mal verkauft, sein aktuelles Programm ging öfter über den Ladentisch als bei internationalen Musikstars, und gerade hat ihn Jazzlegende Paul Kuhn, mit dem Barth einen Song aufgenommen hat, in eine Reihe mit Harald Juhnke gestellt. Ganz im Ernst.
Sehr viel mehr geht eigentlich nicht für einen Mann, der mit fünf Brüdern aufgewachsen ist. Der auf eine katholische Privatschule ging, Messdiener war. Der bei Siemens eine Ausbildung zum Telekommunikationsanlagen- Elektronikermachte, irgendwann mit seiner Freundin, mit der er seit jetzt zehn Jahren zusammen ist, in eine Wohnung zog, nebenbei fürs Radio arbeitete und diverse Comedy-Workshops absolvierte. 2001 ging Barth mit seinem Programm „Männer sind Schweine, Frauen aber auch!“ auf Tour – seitdem ist er nicht mehr zu stoppen. Von nichts und niemanden. Es scheint, als befriedige dieser Barth ein unstillbares Verlangen seines Publikums nach Zoten, nach Altherrenwitzen, nach Schenkelklopfern – da kann „Spiegel“-Moralist Henryk M. Broder noch so oft schreiben, er halte Barth für einen „Kollateralschaden der Demokratie“, für einen „Zeremonienmeister des Prekariats“.
Barth selbst hält sich für einen Intellektuellen. Weil er Schiller kennt. Er ist stolz, als Alleinunterhalter 54 Arbeitsplätze geschaffen zu haben, er rühmt sich, auf dem Boden geblieben zu sein, er sieht darin ein Erfolgsrezept. „Mein Humor ist echt“, so Barth, „die Leute lachen, weil sie sich erkannt oder ertappt fühlen.“
Ob das alleine das Geheimnis erklärt, ist fraglich. Gute Comedy arbeitet oft mit Wiedererkennbarkeit – ohne damit auch nur annähernd solch eine Hysterie wie Barth auszulösen. Andererseits: Für den ist es ja egal, warum er so erfolgreich ist. Er ist es. Punkt.
Jan Chaberny