Polygamisten-Sekte steht vor der Zerschlagung
Monatelang liefen die Ermittlungen gegen die wichtigsten Köpfe einer religiösen Gruppe, der sexueller Missbrauch minderjähriger Mädchen vorgeworfen wird. Jetzt stellten sich die Männer der texanischen Polizei. Aussteiger entlarven derweil das zynische Innenleben der Sekte.
Fünf führende Mitglieder der Polygamistensekte «Fundamentalistische Kirche Jesus Christus Jesus Christus der Heiligen der Letzten Tage» sind am Montag in Texas in Polizeigewahrsam genommen worden. Die Hauptanklage: sexueller Missbrauch minderjähriger Mädchen. Die Männer hätten sich gestellt, berichtete die Zeitung «Dallas Morning News». Jahrzehntelang ließen US-Justizbehörden Zehntausende Polygamisten im Land nahezu unbehelligt, obwohl Mehrfachehe gegen das Gesetz verstößt. Nun wendet sich das Blatt.
In Washington mehren sich Stimmen, Polygamisten müssten künftig wirksamer und auf nationaler Ebene bekämpft werden, nicht wie bisher nur durch einzelne Bundesstaaten. Polygamistische Gruppen seien kriminelle Organisationen, sagt Harry Reid, der Mehrheitsführer der Demokraten im Senat. Sie verletzten Kinderschutzgesetze und zwängen minderjährige Mädchen zur Heirat. Zudem wirft Reid ihnen Steuerhinterziehung und Betrug von Sozialämtern vor. Der US-Senat berät derzeit über Reids Vorlage, eine nationale Arbeitsgruppe gegen Straftaten polygamistischer Gruppen einzurichten. Für Schlagzeilen sorgten diesen Monat Berichte in der Zeitung «Houston Chronicle», Warren Jeffs, Führer der «Fundamentalistischen Kirche», habe 2006 seine Tochter an ihrem 15. Geburtstag einem 34-Jährigen zum Heiraten übergeben.
Fünf Millionen Anhänger der Mormonenkirche
Die meisten Polygamisten gehören Splittergruppen der mehr als fünf Millionen Mitglieder zählenden und 1830 in den USA gegründeten «Kirche Jesus Christus Jesus Christus der Heiligen der Letzten Tage» an. Anfangs predigten die als Mormonen bekannten Gläubigen, Mehrfachehe sei gottgewollt. Kirchengründer Joseph Smith selbst hatte angeblich mindestens 33 Frauen. Es kam zu wüsten Ausschreitungen gegen die Kirche, und die Mormonen zogen Mitte des 19. Jahrhunderts in den kaum besiedelten Westen, in das heutige Utah. Die US-Regierung verbat Polygamie 1862, und 1890 suspendierte die Mormonenkirche die Praxis. Polygamisten gründeten ihre eigenen Kirchen. Nach Schätzung von «Tapestry Against Polygamy», einer Organisation ausgestiegener Frauen, leben gegenwärtig in Utah und benachbarten Staaten noch immer Zehntausende, möglicherweise sogar 100.000 Menschen in polygamen Familien. Die Sekten existierten, weil die Polizei sich oft «weigere, gegen die Gesetzesbrecher vorzugehen». In Utah wird nach Auskunft des Justizministeriums gegen Polygamisten keine Anklage erhoben, wenn sie keine anderen Gesetze brechen.
Der Alleinherrscher überspannte den Bogen
Der 52-jährige Warren Jeffs, seit 2002 «Prophet» der mehrere tausend Mitglieder zählenden «Fundamentalistischen Kirche», hat den Bogen aber offenbar überspannt. Nach Ansicht des Sektenexperten Rick Ross hat Jeffs Alleinherrscheranspruch - er entschied, wer wen heiratet und konnte Familien jederzeit auflösen - zu erheblichen internen Spannungen geführt. Sektenaussteiger packten aus: In der «Fundamentalistischen Kirche» sei Zwangsheirat minderjähriger Mädchen an der Tagesordnung, Frauen seien ihren Männern ausgeliefert. Jeffs landete schließlich auf der «Most Wanted»-Liste der Bundesermittlungsbehörde FBI, wurde im August 2006 festgenommen und im November 2007 wegen «Beihilfe zur Vergewaltigung» zu mindestens zehn Jahren Haft verurteilt. Die fünf Festnahmen in Texas am Montag sind das Resultat mehrmonatiger Ermittlungen gegen die Bewohner einer Ranch der Sekte im Westen des Staates. Dabei waren im April mehr als 400 Kinder vorübergehend unter staatliche Obhut gestellt worden. Vier der fünf Festgenommenen haben laut Haftbefehl minderjährige Mädchen sexuell missbraucht. Der Fünfte habe als Arzt der Sekte von dem Missbrauch gewusst. (Konrad Ege, epd)
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