Opfer flehen die Welt um Hilfe an
Drei Tage nach dem verheerenden Taifun „Haiyan“ wächst die Verzweiflung unter den Überlebenden - Plünderungen sind an der Tagesordnung. Ein Polizeichef schätzt über 10 000 Tote.
Manila - Die Verzweiflung unter den Überlebenden ist riesengroß. Der Flughafen der zerstörten Stadt Tacloban wird nach Angaben von Augenzeugen von hunderten Menschen belagert, die dringend auf Trinkwasser und Nahrungsmittel hofften. Die ersten Flüge brachten Mediziner, die am Flughafen notdürftig eine Krankenstation einrichteten. Tausende Tonnen Hilfsgüter sind unterwegs, aber die Verteilung ist schwierig, weil in den Straßen meterhoch Schutt liegt. Millionen Menschen sind betroffen, Hunderttausende brauchen Hilfe.
Wie viele umgekommen sind, war weiter unklar. Mehr als 10 000, schätzte ein Polizeichef, aber die Regierung wollte sich auf solche Spekulationen nicht einlassen. „Wir wollen niemand alarmieren, der nach Verwandten sucht“, sagte Präsiden Benigno Aquino. „Unsere Priorität sind die Lebenden.“ Anwohner sprachen von unvorstellbarem Verwesungsgeruch in den Straßen. Die Lokalbehörden bereiteten Massengräber vor. „Wir haben nichts, hier kommt nichts an“, sagte Gilda Mainao am Montag aus Tacloban im Rundfunk. „Bitte, bitte schickt uns Hilfe.“
Nach UN-Angaben sind rund 9,5 Millionen Menschen betroffen. Rund 13.000 Familien im Katastrophengebiet seien von den Vereinten Nationen und ihren Partnern bisher mit Lebensmitteln, Trinkwasser und Medikamenten versorgt worden, sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon am Sonntagabend in New York. Er äußerte sich tief besorgt über die Folgen des Wirbelsturms, der Schätzungen zufolge allein auf der Insel Leyte 10.000 Menschen in den Tod riss.
Ein starker Anstieg der Opferzahlen sei zu befürchten, da die Helfer in einige entlegene Regionen noch nicht vordringen konnten, erklärte Ban. Straßen, Flughäfen und Brücken seien zerstört worden oder von Trümmern blockiert. Ban bot der philippinischen Regierung die Hilfe der Vereinten Nationen an und rief die internationale Gemeinschaft zu Unterstützung auf. „Haiyan“ war am Freitagabend mit Geschwindigkeiten von mehr als 300 Kilometern pro Stunde auf die Ostküste der Philippinen getroffen. Er gilt als einer der stärksten Wirbelstürme seit Jahrzehnten.
Reporter des Senders ANC erreichten inzwischen mit Mopeds erstmals den Ort Guiuan weiter östlich, wo der Taifun am Freitagmorgen über die Küste hereinbrach. Dort lebten vorher 50 000 Menschen. Die Reporter zeigen Bilder unglaublicher Verwüstung: Der Rest eines Kirchturms ragt in die Luft. Tonnenschwere Gesteinsbrocken sind meterweit verstreut. Viele Häuser und Hütten sind zerstört. Noch kein Helfer hat den Ort erreicht. Panik scheint es nicht zu geben - vielmehr laufen die Menschen wie betäubt durch die Straßen. Einige suchen in den Trümmern, die kilometerlang die Küste bedecken, nach Brauchbarem.
Taifun „Haiyan“ verursachte meterhohe Sturmfluten. Die Wassermassen spülten Frachtschiffe hunderte Meter weit ins Land und rissen alles fort, was im Weg stand. Die Bilder erinnern an die Verwüstung nach dem Tsunami 2004 in Indonesien. Nachdem schon am Sonntag in Tacloban mit einst 220 000 Einwohnern Chaos ausbrach und Geschäfte geplündert wurden, schickte die Polizei Verstärkung. Der Präsident erwäge den Ausnahmezustand und eine Ausgangssperre zu verhängen, berichteten Lokalmedien.
„Die Leute sagen, die Situation zwingt die Menschen zu Verzweiflungstaten“, sagte Polizeisprecher Reuben Sindac im Fernsehen. „Wir haben Verständnis, aber wir können keine Anarchie akzeptieren.“ Im Hafen von Tacloban kam nach Angaben des Roten Kreuzes am Sonntagabend ein Versorgungsschiff mit 140 Tonnen Hilfsgütern an. Aus Frankfurt wurden am Sonntag 25 Tonnen Hilfsgüter nach Manila geflogen, darunter Decken, Zelte und Medizintechnik der Hilfsorganisationen World Vision und I.S.A.R Germany.
Auch Experten des Technischen Hilfswerks THW waren auf dem Weg. Am Montag traf der Taifun in Vietnam auf die Küste. Er hatte sich allerdings deutlich abgeschwächt. Dennoch wurden in der Provinz nördlich von Hanoi Bäume entwurzelt, teilte die Wetterbehörde mit. Auch die bei Touristen populäre Ha Long-Bucht war betroffen, aber es kam niemand zu Schaden, wie die Tourismusbehörde versicherte.
In der südchinesischen Provinz Hainan starben mindestens drei Menschen, als heftiger Sturm und sintflutartige Regenfälle am Montag auf die östlich von Nordvietnam gelegene Inselprovinz niedergingen, wie das Büro für Zivile Angelegenheiten der Region mitteilte.