Online-Aufstand gegen Paul Potts

Er singt und singt und singt – auf allen Kanälen: Jetzt fordern tausende genervte Internetnutzer den Stopp des Telekom-Spots mit dem Briten
von  Abendzeitung
Allgegenwärtig: der britische Neu-Tenor Paul Potts.
Allgegenwärtig: der britische Neu-Tenor Paul Potts. © dpa

Er singt und singt und singt – auf allen Kanälen: Jetzt fordern tausende genervte Internetnutzer den Stopp des Telekom-Spots mit dem Briten

Wer die vergangenen vier Monate nicht im Beutel eines Känguruhs im Zoo von Phnom Penh verbracht hat, kennt ihn: Paul Potts, singender Handyverkäufer und hierzulande wohl berühmter als Franz Maget in der eigenen Partei.

Vor allem hierzulande. Denn egal, ob man sich für Tom Buhrow, Rosamunde Pilcher oder Luca Toni interessiert – er ist immer schon da: in jenem Werbespot der Telekom. Als zunächst belächelter Casting-Kandidat, der per Opern-Arie „Nessun Dorma“ den eingeblendeten Zuschauern ein seliges Lächeln aufs Gesicht zaubert. Fast so, als wäre ihnen gerade der Heilige Geist in Gestalt eines untersetzten Engländers erschienen.

Ein modernes Märchen eben – mindestens tausendundein Mal erzählt. Vor allem im Internet, wo die „Pottsmania“ 2007 ihren Ursprung nahm, als das Video auf Youtube eingestellt wurde. Doch ausgerechnet in dem Medium, das ihn groß gemacht hat, wendet sich zurzeit das Blatt. Und zwar gewaltig.

Nessun-Dorma-Overload und Vermarktungsmaschinerie

Quer durch das World Wide Web, auf Seiten für werdende Mütter, Mollige, Barfußgeher, Russlanddeutsche, Jungunternehmer und Audi-Fans, in Foren und Blogs ist ein regelrechter Aufstand gegen Potts losgebrochen. Das Hauptproblem: die permanente Präsenz, die Allgegenwart des Neu-Tenors. „So reizend der Auftritt beim ersten Anschauen auch ist, nach einigen Monaten Sendeschleife auf allen Kanälen nervt sie nur noch“, notiert zum Beispiel „Promiblogger“. „In Deutschland wird leider alles radikal ausgelutscht, was irgendwann einmal sympathisch daher kam.“

Einen „Nessun-Dorma-Overload“ sieht auch „Miss-Monroe“ – „nachdem ich diesen Spot an zwei Tagen gefühlte 5000 Mal gesehen habe“. Schreiber „Rennix“ geht’s ähnlich: „Vor allem, weil man inzwischen von Freunden und Arbeitskollegen als herzloses Scheusal betrachtet wird, sobald man nicht tränenüberströmt zusammenbricht“, berichtet er ironisch.

„Flash“ wird drastisch: „Mittlerweile nervt mich Paul Potts nicht mehr, nein, dank der dauerhaften Beglückung in jedem Werbeblock hasse ich Paul Potts!“ Für Thomas-007, einem Fan des Sängers, liegt die Schuld woanders: „Er ist in der Vermarktungsmaschinerie gelandet und wird jetzt gnadenlos ausgepresst.“

„Potts und die Marke könnten Schaden erleiden“

Marc Schwieger, Geschäftsführer der renommierten Hamburger Werbeagentur Scholz & Friends, ist für den Spot zwar nicht verantwortlich, verfolgt solche Regungen jedoch genau – sind sie doch ein wichtiger Gradmesser, wann ein Thema „durch“ ist. Gerade im Internet gebe es den „immer selbstbewusster werdenden Konsumenten, der die Werbung genauso kritisch sieht wie das Produkt selbst“, sagt er zur AZ.

Überhaupt sei die Online-Community mit der normalen Kommunikation schwerer zu beeindrucken und habe von einer Werbung schneller die Nase voll. „Sie begreift sich selber als Teil der Medienszene und nimmt kein Blatt vor den Mund."

Das Dilemma: viele Menschen zu erreichen, ohne den Doppelt-, Dreifach- und Hundertfach-Sehern auf den Zeiger zu gehen. „Manche Teile des Publikums nehmen eine Werbung eben erst nach dem fünften, sechsten Mal überhaupt wahr", berichtet Schwieger. Oft werde auch dann erst die Verbindung zur Marke hergestellt. „Vorher kann es Gesprächssituationen wie folgende geben: ,Hast du die Werbung mit dem dicken Mann gesehen, der so schön singt?' - ,Ja, von Vodafone, oder?'“

Professor Tom Knieper, Medienwissenschaftler an der Universität Braunschweig, spricht vom „Wear-Out-Effekt“ der Reklame. Dieser besagt, dass ein zu häufig wiederholter Spot seine Werbewirkung verlieren kann. Das Internet liefere „eine sensible Einschätzung dafür, wann eine Sache überspielt“ werde, so Knieper. Und dies sei bei der eigentlich „phantastisch durchkonzeptionierten“ Telekom-Kampagne, die noch bis Oktober läuft, schon nach vier Monaten offenbar der Fall.

Jetzt drohen dem Experten zufolge sogar „Reaktanzen“, Abwehrreaktionen des Publikums. „Sowohl Potts als auch die Marke könnten Schaden erleiden.“ Dabei sei der Brite als Werbefigur keineswegs verbrannt. „Man sollte ihn nur nicht mehr ,Nessun Dorma’ singen lassen“, meint Knieper. „Besser wäre es, seine Geschichte weiterzuerzählen.“

Dann könnte man auch vermeiden, den Rat des Bloggers „Fanman“ zu berücksichtigen, der – möglicherweise sogar ernsthaft – vorschlägt: „Hätte die Telekom nicht einfach wieder Manfred Krug nehmen können?“

Timo Lokoschat

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