"Nicht jedem gefallen wollen": Amerikanerin revolutioniert das Online-Dating

Früher war es so: Man verließ das Haus und traf auf die große Liebe. Heute ist das Liebesglück zu einer mathematischen Gleichung geworden: Die Zahl potenzieller Partner ist dank Online-Dating schier unbegrenzt. Rein objektiv betrachtet, muss es den Richtigen oder die Richtige also irgendwo da draußen geben.
Die meisten Dating-Experten raten daher: Stelle dich in deinem Profil so attraktiv wie möglich dar, damit du viele Matches bekommst. Denn je mehr Auswahl, umso größer die Chance, den Volltreffer zu landen. Also muss jeder versuchen, mit möglichst vielen Leuten zu chatten, um herauszufinden, wer zu einem passt.
Online-Dating: "Wer die Nadel im Heuhaufen finden will, muss den Heuhaufen abbrennen"
"Stimmt nicht", sagt Jennie Young. Sie meint: "Wer die Nadel im Heuhaufen finden will, muss den Heuhaufen abbrennen." Es scheint fast ebenso viele Ratgeber für die Partnersuche zu geben wie Singles, die auf der Suche sind. Jennie Young sticht aus der Masse hervor. Die promovierte Rhetorikerin an der Universität von Wisconsin hat ein System entwickelt, das das Online-Dating revolutionieren könnte. Denn bei der "Burned-Haystack"-Methode geht es gar nicht darum, möglichst viele Interessenten zu gewinnen.
Im Gegenteil: Je weniger, umso besser. "Das Ziel ist, alle Leute auszusortieren, die man nicht als Partner haben will", erklärt die 53-Jährige. Und zwar schnell, nicht erst nach langen Chats. "Aber um das effizient zu machen, braucht man ein System."
Kennenlernen ist ein ganz eigenes, bizarres Universum
Durch ihre eigenen Erfahrungen beim Online-Dating kam sie auf die Idee, linguistische Erkenntnisse auch bei der Partnersuche anzuwenden. "Ich dachte anfangs, das Kennenlernen würde nach normalen Verhaltensregeln funktionieren", sagt die Rhetorikerin. "Aber das stimmt nicht - das ist ein ganz eigenes, bizarres Universum. Ich merkte, man kann nicht einfach in den Apps ein netter Mensch sein und dann klappt es schon."
Also notierte sich Jennie Young ein paar Regeln und wandte unter anderem Kenntnisse der Kritischen Diskursanalyse an, ihrem Fachgebiet. "Dadurch habe ich anders interagiert. Und das hat dann sofort alles verändert." Anstatt Zeit zu verschwenden mit "Stunden lächerlicher Gespräche, die nirgendwo hinführen", traf sie plötzlich schnell auf Männer, die für ein Date infrage kamen.
Im Profil so darstellen, wie man wirklich ist
Eine ihrer Regeln lautet: Stelle dich in deinem Profil so dar, wie du bist. Das betrifft zum einen die Fotos. "Männer beschweren sich vor allem darüber, dass so viele Frauen Fotos übermäßig bearbeiten, alte Fotos posten oder ihre Körperform verstecken", erzählt sie. "Ich denke, jeder sollte sich wahrheitsgemäß präsentieren." In der Realität wird man schließlich auch so gesehen, wie man ist. Man brauche sich nicht im Bikini zu zeigen, meint Young. "Aber es ist eine gute Idee, wenn man ein Bild von sich postet, das aus der Ferne aufgenommen wurde, wo man irgendetwas macht."

Auch beim Inhalt des Profils sollte man sich wahrheitsgetreu beschreiben. Während oft dazu geraten wird, "viel Wärme" auszustrahlen und "keine Negativität", hat Jennie Young einen ganz anderen Leitspruch: "Wenn du im Internet einen anständigen Mann kennenlernen willst, schreibe ein bissiges Profil!" Was sie meint: Es bringt nichts, jedem gefallen zu wollen.
"Ich wollte nicht die 99 Prozent, ich wollte das eine Prozent, das es verstehen würde"
In ihrem eigenen Profil listete sie 2021 auf, was sie nicht sucht, unter anderem Gelegenheitssex, "Hey"-Nachrichten oder "einen 55-jährigen Mann, der irgendwann Kinder will". Sie beschrieb kurz ihre Hobbys und ihre Persönlichkeit, verwies auf ihre Arbeit als Autorin und machte klar, dass ihr auch beim Partner Sprachkompetenz wichtig ist. "Ich wusste, dass ich mit diesem Profil 99 Prozent aller Männer abschrecken würde", schrieb sie in einem Artikel auf der Plattform Medium.com. "Aber ich wollte nicht die 99 Prozent, ich wollte das eine Prozent, das es verstehen würde."
Das Resultat: Sie bekam Rückmeldungen – viel weniger als früher, gibt Jennie Young zu. "Aber diese Nachrichten waren es wert, gelesen zu werden." Darunter war auch Scott, mit dem sie sich schnell verabredete. Von Anfang an war die Kommunikation ehrlich und offen. Es entstand eine vertrauensvolle Beziehung, die zwei Jahre hielt. Dann waren die Vorstellungen vom gemeinsamen Leben doch zu verschieden, und sie trennten sich. Jennie Young fühlt sich dennoch bestätigt: Um Scott zu finden, verwendete sie die Dating-App nur fünf Tage lang.
Nachdem sie über ihre Erfahrung öffentlich berichtet hatte, erhielt sie eine Flut an Reaktionen: "Ich stellte fest, dass andere Frauen von dem, was ich tat, profitieren können." Die Idee des abgebrannten Heuhaufens war geboren.
Parallel zu ihrer Website burnedhaystackdating.com und der Instagram-Seite word_case_scenario gründete Jennie Young im März 2023 eine nicht-öffentliche Facebook-Gruppe für Frauen. Inzwischen hat die Gruppe mehr als 20.000 Mitglieder. In der Gruppe wird kollektiv Zuversicht und Hoffnung vermittelt, es werden aber auch negative oder skurrile Erfahrungen geteilt.
Frauen werden oft beleidigt, gestalkt oder bedroht
Jennie Youngs Rat lautet oft: "Block to burn" – blockiere und verbrenne (den Kontakt zu diesem Mann). Das klingt hart, aber entspricht den Regeln des "Burned-Haystack"-Systems: Lass dich auf keine Diskussionen mit Männern ein, erkläre ihnen nicht, was sie falsch machen, das ist nicht deine Aufgabe - sondern blockiere, was für dich nicht funktioniert, und konzentriere dich auf dein Ziel.
Einfach blockieren, ist das nicht dasselbe wie Ghosting (das plötzliche Abbrechen aller Kommunikation ohne Erklärung)? "Nein", sagt Young. "Wenn man mit einem Fremden im Internet kommuniziert, mit dem man weder ein Date hatte noch eines vereinbart hat, dann ist man keine Erklärung schuldig."
Gerade Frauen fällt es schwer, Kontakte auszusortieren, die nicht für eine Partnerschaft infrage kommen: "Sie wollen nicht unhöflich sein, sie haben Angst, die Gefühle von anderen zu verletzen." Bei der Partnersuche wird Frauen häufig geraten, nicht zu anspruchsvoll zu sein. Durch ihre Sozialisation sind sie es gewohnt, freundlich, fürsorglich und verständnisvoll aufzutreten. Im Umgang mit fremden Männern auf Dating-Apps kann ihnen jedoch das zum Verhängnis werden. Laut Studien machen Frauen beim Online-Dating überproportional viele negative Erfahrungen, die von Beleidigungen, Stalking- und Betrugsversuchen und der Aufforderung zu sexuellen Handlungen bis zur Androhung körperlicher Gewalt reichen. Das wirkt sich nicht nur aufs Selbstwertgefühl aus, sondern kostet auch Vertrauen.
Analytisch daten
Die "Burned-Haystack"-Methode spart laut Young nicht nur Zeit und Energie. "Ich denke, sie ist auch sicherer und hilft, psychisch gesund zu bleiben", sagt sie. Darüber hinaus erhält man in vielen Apps erst neue Matches, wenn alte blockiert, also aussortiert werden.
Generell sollte man eine Dating-App aber als Werkzeug sehen, meint Young: "Die App ist weder ein Spiel noch ein Zuhause", erklärt sie. "Ich rate Frauen daher, sie nur zweimal am Tag zu prüfen und nicht jedes Mal zu reagieren, wenn ein Mann das Profil liked." Am Anfang sollte man den Kontakt eher geschäftsmäßig halten, sagt die 53-Jährige: "Mit dieser Einstellung ist man viel analytischer und wesentlich effektiver."

Doch sich aufs Wesentliche zu konzentrieren, wird durch die spielerische Anwendung vieler Apps erschwert. So haben Neurologen herausgefunden, dass etwa das Wischen bei Apps wie Tinder die Dopaminausschüttung im Gehirn ankurbelt. Durch die Glückshormone wird es schwieriger, sich von der App zu lösen – zugleich kommt man dem Ziel, einen geeigneten Partner zu finden, aber nicht näher. Im Gegenteil: Der Hormoneinfluss erhöht eher die Gefahr, den Kopf - beziehungsweise das Herz – zu verlieren. Besser sei es, so Jennie Young, die Partnersuche wie eine Stellenausschreibung zu behandeln. Das bedeutet, mit emotionaler Distanz zu agieren - und konsequent auszusortieren.
Aber wo bleibt denn da die Romantik? Wird sie durch das strenge Regelwerk nicht abgetötet? "Ja, ich töte die Romantik mit meinem System total ab", bestätigt Jennie Young. "Es gibt eine passende Zeit für Romantik mit jemandem, den man über eine Dating-App kennengelernt hat. Doch die erste Erfahrung sollte eher wie eine Aufgabe in der Arbeit sein, wie wenn man E-Mails durchsieht oder Bewerbungen prüft. Es sollte nicht wie eine mystische Erfahrung sein, denn man kennt diese Leute ja gar nicht - sie sind Fremde im Internet."
Was Sprache verrät: Lügen auf der Spur
In romantischen Komödien ziehen sich Gegensätze nicht nur an, sie sind meist auch Zeichen für die große Liebe. Wer mit solchen Idealen aufgewachsen ist, geht umso leichter Betrügern auf den Leim – noch dazu im Internet, wo sich jeder so ausgeben kann, wie er oder sie will. Was dahinter steckt, ist oft nicht gleich zu erkennen. Doch es gibt häufig sprachliche Hinweise auf Täuschungsabsichten, sagt Jennie Young. Denn Menschen versuchen meist unbewusst, Lügen zu vermeiden. Plötzliche grammatikalische Veränderungen können Zeichen dafür sein. Mit Mitteln der Kritischen Diskursanalyse liest man zwischen den Zeilen.
Eines der berühmtesten Beispiele ist Bill Clintons Aussage zu seinem Verhältnis zur ehemaligen Praktikantin im Weißen Haus: "Ich hatte keine sexuellen Beziehungen zu dieser Frau." Indem er Monica Lewinsky nicht beim Namen nannte, distanzierte er sich von seinem Fehltritt. "Bill Clinton hat einen IQ wie ein Genie, aber er ist ein fürchterlich schlechter Lügner", sagt Jennie Young. Die Sprache verrate so manches: "Das zu wissen, ist sehr praktisch bei Dating-Apps."
Kühl im Kopf bleiben
Gibt es also Signalwörter in Online-Profilen? "Ja, ich blockiere jeden Typen, der schreibt: kein Drama", sagt Young. "Das ist einfach ein Code für: Ich möchte mich nicht mit einer komplexen Sache beschäftigen. Oder alles in Richtung: Nimm dich selbst nicht so wichtig. Ich bin auf der Suche nach Spaß."
Anfangs hat Jennie Young mit ihrer Methode vor allem Frauen ab 40 Jahren angesprochen. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass auch jüngere Frauen davon profitieren. "Ich gebe an der Uni auch ein Seminar zur Rhetorik des Datings und der Intimität - es ist interessant, das alles aus der Perspektive der Generation Z zu sehen."
In vielem ähneln sich die Erfahrungen von Jüngeren und Älteren "auf schockierende Weise": "Sie sind die Generation, die besser wissen, wie man Warnsignale erkennt. Aber sie sind in der digitalen Welt aufgewachsen, wo es eine Tendenz gibt, eine Menge Fehlverhalten zu normalisieren und zu etablieren."