Neuer Prozess gegen Reemtsma-Entführer
Wo sind die Reemtsma-Millionen? Der Drahtzieher der Entführung hat das Versteck nie verraten. Thomas Drach kommt jetzt wieder vor Gericht. Laut Anklage wollte er den eigenen Bruder erpressen lassen - weil der angeblich „sein“ Geld verprasst.
Hamburg – Der Alptraum scheint für Jan Philipp Reemtsma immer noch nicht vorbei. „Nie tat es mir gut, irgendetwas über die Entführer zu hören oder zu lesen“, schrieb der Hamburger Multimillionär schon kurz nach den 33 Tagen Geiselhaft in seinem Buch „Im Keller“. Jetzt, mehr als 15 Jahre nach der brutalen Verschleppung, muss sich der 58-Jährige wieder mit Berichten über den Drahtzieher Thomas Drach herumschlagen. Denn Drach will wohl mit allen Mitteln um das Rekordlösegeld kämpfen, das er irgendwo versteckt hat.
Aus dem Gefängnis heraus soll der 51-Jährige versucht haben, seinen eigenen Bruder um Millionen erpressen zu lassen. Von diesem Donnerstag an steht er daher erneut vor Gericht. Aus Drachs Sicht habe der jüngere Bruder – der wegen der „Wäsche“ von Lösegeld auch selbst in Haft war – Teile der Beute „zweckentfremdet oder verschwendet“, sagt Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers. Der Angeklagte sehe sich daher um den „Lohn“ aus dem spektakulären Verbrechen gebracht. Drachs Verteidiger erklärt dagegen, sein Mandant bestreite den Vorwurf.
Eigentlich sollte Drach in neun Monaten aus der Haft entlassen werden, am 21. Juli 2012. Dann hätte er seine vierzehneinhalb Jahre wegen der Reemtsma-Entführung abgesessen. Der neue Prozess könnte den Termin aber kippen – und sogar dafür sorgen, dass Drach sehr lange weggesperrt wird. „Für den Fall, dass er zu mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt werden sollte, kommt die Anordnung der Sicherungsverwahrung in Betracht“, erklärt Möllers.
Schließlich hat Drach eine lange kriminelle Karriere hinter sich. Mit 13 klaut er Autos, mit 18 überfällt er einen Supermarkt, später raubt er eine Bank aus. Die Straftaten bringen ihm fast zehn Jahre hinter Gittern ein. Dann will Drach das ganz große Ding drehen, lebenslang in Luxus schwelgen. Er und seine Komplizen überwältigen den Millionenerben Reemtsma im Frühjahr 1996 vor seinem Haus in Hamburg-Blankenese. Viereinhalb Wochen lang halten sie ihn in einem Verlies in der Nähe von Bremen fest. Angekettet, in Todesangst. Gegen 15 Millionen Mark und 12,5 Millionen Schweizer Franken kommt er frei.
Für Reemtsma ist das Verbrechen eine Tortur. Für Drach ein Geschäft, wie sein Opfer erschüttert feststellt. „Ihr müsst es als eine Art brutale Geschäftsabwicklung auffassen“, schreibt Reemtsma 1996 in einem Brief an seine Frau und seinen Sohn: „Geld gegen JP.“ Drach habe stets versucht, von sich das Bild eines sachlichen Geschäftsmanns zu zeichnen. Doch Reemtsma sieht in ihm eine „Mischung aus zur Schau gestellter Professionalität und Angeberei“ – und fühlt sich an den Fernseh-Dreiteiler „Die Gentlemen bitten zur Kasse“ erinnert. Darin geht es um den legendären Postzugraub in Großbritannien 1963, der den Tätern ebenfalls eine Rekordbeute einbrachte.
Das Geld. Immer wieder das Geld. Nur ein Bruchteil der Beute ist bisher aufgetaucht. Wo hat Drach die Millionen gebunkert? Schweigen, seit Jahren. Ein Antrag auf vorzeitige Haftentlassung wurde daher bereits abgelehnt. Die Ermittler wollen natürlich verhindern, dass Drach später wieder auf großem Fuß lebt – wie gleich nach der Entführung, als er sich nach Südamerika abgesetzt hatte. In einen Nobelbadeort in Uruguay, mit Villa in bester Lage und Traumauto. Luxus pur.
Reemtsma fühlte sich davon verhöhnt. Selbst bei der Höchststrafe von 15 Jahren mache Drach einen „Gewinn von zwei Millionen Mark pro Haftjahr“, rechnete er im Gerichtssaal vor. In seinem Buch schreibt der Mäzen und Sozialforscher: „Was alles hätte man mit diesem Geld machen können, das nun, bevor es von den Verbrechern selbst wahrscheinlich teils verspielt und verprasst, teils für die Vorbereitung weiterer Verbrechen genutzt, mehrheitlich von irgendwelchen Geldwäschern kassiert werden würde.“
Wenn er irgendwann wieder einen Coup plane, dann bitte kein Kidnapping mehr, sagt Reemtsma während der Gefangenschaft zu seinem Entführer. „Man sollte das Menschen nicht antun.“ Das „Herausfallen“ aus der Welt, wie er es empfindet, eine absolute Gleichgültigkeit. Der letzte Text, den Reemtsma vor der Entführung schrieb, dreht sich um Traumatisierung. Um Ereignisse, die ihren Schrecken reproduzieren. Um Menschen, die an das traumatisierende Ereignis psychisch gefesselt sind – und heimgesucht werden von Alpträumen.