Natascha Kampusch: Es gab keine Verschwörung

Vor knapp sechs Jahren floh Natascha Kampusch aus einer qualvollen Gefangenschaft. Der Fall wurde vielfach untersucht und diskutiert. Doch die Verschwörungstheorien und Erörterungen intimer Details wollen in Österreich nicht abebben. Nun meldet sich das Opfer.
Wien (dpa) – Das österreichische Entführungsopfer Natascha Kampusch (24) hat sich fast sechs Jahre nach ihrer Flucht erneut gegen zahlreiche Verschwörungstheorien gewehrt. Weder habe es weitere Täter neben dem Entführer gegeben, noch sei sie schwanger gewesen, sagte Kampusch in einem am Montagabend gesendeten ORF-Fernsehinterview. Die aktuellen Debatten nannte sie „empörend“ und fügte hinzu: „Es ist eine enorme psychische Belastung, es verletzt.“ Man könne aber gegen solche Vorhaltungen nicht argumentieren.
Kampusch wurde 1998 als Zehnjährige von dem Nachrichtentechniker Wolfgang Priklopil entführt und acht Jahre lang in dessen Haus bei Wien gefangen gehalten. Nach der Flucht des Opfers im Jahr 2006 tötete sich Priklopil selbst. Sie habe nie Mittäter gesehen, betonte Kampusch. Mit dem Freund Priklopils, dem diese Rolle unterstellt wird, habe sie nach der Flucht mehrmals telefoniert, um zu erfahren, ob er schon länger Bescheid wusste.
Die Aussage eines damals zwölfjährigen Mädchens, das die Entführung einige Sekunden beobachtete und dabei angeblich zwei Männer sah, erklärt sich Kampusch mit einer Einbildung im Schockzustand. Kampusch betonte, sie sei auch niemals von Priklopil schwanger gewesen. Eine gefundene Haarlocke stamme nicht von einem Baby sondern von ihr. Der Entführer rasierte ihr immer wieder den Kopf und sie habe eine Locke der abgeschnittenen Haare aufbewahrt.
Zu dem Interesse an zahlreichen Details ihrer Gefangenschaft sagte sie: „Es macht einfach neugierig, was da wohl passiert ist, und es geht darum, nicht um Opferschutz oder dass man etwas aufklärt.“
Spekulationen um einen angeblichen Pornofilm, den ihr Entführer mit ihr gedreht haben soll, oder gar einen ganzen Kinderpornoring, seien absurd. Zu Vorhaltungen, sie spare in ihren Berichten vieles aus, sagte Kampusch: „Ja, aber sehen Sie es doch so: Jeder hat ein Anrecht auf Privatsphäre, und ich muss nicht alles erzählen. Gewisse Dinge sind sehr persönlich und haben auch nicht wirklich etwas mit diesem Verbrechen zu tun, und warum soll ich dann demütigende Sachen preisgeben?“
Die aktuellen Diskussionen wurden angeheizt, weil der Vorsitzende eines parlamentarischen Ausschusses in Wien nicht an einen Einzeltäter glaubte. „Aus meiner Sicht ist der Fall nicht abzuschließen“, sagte Werner Amon vor eine Woche der dpa. Er meinte zudem, manche Aussagen von Kampusch könnten zwar aus ihrer Sicht richtig sein, aber trotzdem nicht stimmen.
Ende März will der Ausschuss seine Ergebnisse vorlegen. Nach Berichten einzelner Zeitungen wird er empfehlen, den Fall noch einmal aufzurollen. Die Ermittler vom Bundeskriminalamt und der Justiz reagierten verständnislos. Alles sei komplett geklärt, hieß es. „Intensiver kann man einen Fall nicht ausermitteln“.
Verschwörungstheorien um den spektakulären Fall kursieren schon länger. Dazu gehören etwa Zweifel am Selbstmord des Entführers Priklopil – allerdings ohne, dass es bisher einen wirklichen Beleg gäbe. Kürzlich wurde bekannt, dass ein Polizist auf eigene Faust ermittelte und illegal von einem Grundschulmädchen DNA-Proben nahm, um zu beweisen, dass Kampusch die Mutter des Kindes sei. Ein seriöses Gutachten widerlegte das.
Im ORF-Fernsehen stritten am Sonntagabend Politiker, Juristen und Experten in einer Talk-Runde über das Thema, warfen sich Ahnungslosigkeit vor und beschimpften sich. Demnächst wird zudem der Lebens- und Leidensweg von Kampusch verfilmt. Der verstorbene Filmproduzent Bernd Eichinger schrieb ein Drehbuch nach Kampuschs Autobiografie „3096 Tage“.