Nadja Benaissa: Verheimlicht und verdrängt?
Nadja Benaissa war 17, als sie erfuhr, dass sie HIV-positiv ist. Jahrelang hielt sie als Teenie-Star die Infektion geheim. Jetzt ist sie vor Gericht, weil sie wissentlich jemanden angesteckt haben soll
Das Bild vom gefallenen Engel wird seit dem 11. April vergangenen Jahres immer wieder bemüht: An diesem Tag kamen mehrere Zivilpolizisten in den Frankfurter Club „Nachtleben“ und verhafteten Nadja Benaissa vor den Augen ihrer Fans.
Eigentlich hätte sie dort singen sollen, anknüpfen an vergangene, erfolgreiche Zeiten. Was statt dessen folgte, waren zehn Tag Untersuchungshaft, das Bekanntwerden ihrer HIV-Infektion und nun der Prozess vor dem Amtsgericht Darmstadt: Der 28-Jährigen wird vorgeworfen, ungeschützten Sex gehabt zu haben und ihren Partnern dabei ihre Infektion verschwiegen zu haben. Die Anklage lautet vollendete gefährliche Körperverletzung in einem Fall und versuchte Körperverletzung in vier Fällen.
Laut Anklageschrift hat Benaissa von 2000 bis 2004 mit drei Männern ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt. Sie hat eingeräumt, seit 1999 von ihrer Infektion gewusst zu haben. Ein Mann behauptet, sie habe ihn 2004 mit HIV angesteckt – er ist als Nebenkläger dabei. Vor Gericht werden auch drei andere No-Angels-Mitglieder gehört werden. Weil Nadja Benaissa beim ersten Fall im Jahr 2000 erst 17 Jahre alt war, wird der Prozess vor dem Jugendschöffengericht stattfinden. Benaissa drohen im Fall einer Verurteilung sechs Monate bis zehn Jahre Haft.
Solche Prozesse sind selten, die Schuld ist schwer nachweisbar (siehe unten). Benaissa selbst hat sich öffentlich zu den Vorwürfen bisher nicht geäußert. Über HIV spricht sie seitdem aber offen, sie gab ein ausführliches Interview bei „SternTV“ und trat bei der Berliner Aids-Gala im vergangenen November auf.
„Viele von uns kennen das ungute Gefühl nach einer unüberlegten, ungeschützten Nacht. Fast alle verdrängen aus Angst alles schnell wieder“, sagt sie dort. „Auch ich kämpfe. Jeden Tag. Gegen Vorurteile, gegen die Angst. Auch gegen die Angst, früh zu sterben.“
Nach dem Zwangsouting durch die Staatsanwaltschaft wurde Benaissa beschimpft, manche riefen ihr „Schlampe“ hinterher. Es war für sie aber auch eine Befreiung, vom langen Verschweigen, von der Angst, alles kommt raus und kostet sie die Karriere. „Jetzt kann mich keiner mehr erpressen“, sagt sie. „Dieser Druck war immens. Weil es immer Menschen gab, die wollten, dass das rauskommt.“
Ihre Freunde und ihre Familie wussten Bescheid, auch die Kolleginnen aus der Band. Später berichtete Nadja, dass manche Freunde, die sie finanziell nicht mehr unterstützen wollte, drohten, die Infektion öffentlich zu machen. Im Internet kursierten seit Jahren Gerüchte. Einer behauptet dort 2006: „Sie hat schon mehrere Männer angesteckt.“
Dass Nadja Benaissa kein Engel war, wurde zu Beginn der steilen Karriere bekannt. Die Tochter eines Marokkaners und einer Deutschen erzählte 2001 von ihrer Drogensucht. Mit 13 habe sie bereits Joints geraucht, mit 14 sei sie von Crack abhängig gewesen.
Ein Ex-Freund behauptet damals öffentlichkeitswirksam, Nadja habe sich zu dieser Zeit prostituiert – das bestreitet sie bis heute. Mit 17 wurde sie ungewollt schwanger – das war 1999, in dem Jahr, in dem sie offenbar von ihrer HIV-Infektion erfuhr. Sie machte einen Entzug und bekam ihre Tochter, die sie alleine erzieht. Die Kleine war neun, als ihre Mutter verhaftet wurde. Von der HIV-Infektion wusste sie bis dahin nichts. „Ich wollte es ihr sagen, wenn sie etwas älter ist und das Ganze besser wegstecken kann. Ich wollte einfach nicht, dass sie Angst hat und sich Sorgen um ihre Mutter macht.“
Im Jahr 2000 begann mit der Castingshow „Popstars“ der Aufstieg der No Angels. Benaissa, die Frau mit der dunklen Soulstimme, wurde für Millionen Mädchen zum Vorbild: Nadja stand für die starke Frau, die niemals aufgibt und sich von ganz unten wieder hochgekämpft hat. Im Oktober soll eine Biografie über die 28-Jährige erscheinen. Ein Kapitel ist noch nicht fertig. Das über den Prozess und das Urteil. Tina Angerer
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