Nachts im Krankenhaus

Eine Pflegekraft muss sich in der Nachtschicht um bis zu 34 Patienten kümmern. „Das alles ist unwürdig, gefährlich und kann sogar tödlich sein!“
von  Rosemarie Vielreicher

Wie viele Pflegekräfte sind noch da, wenn die Besuchszeiten vorbei sind, die Familie nach Hause geht und denkt, die kranken Angehörigen sind in guten Händen? Schon seit Jahren sagt Verdi: viel zu wenige. In der Nachtschicht sieht es in vielen Krankenhäusern duster aus, und teilweise sind sie „gefährlich unterbesetzt“, sagt die Gewerkschaft.

Jetzt legt sie einen „Nachtdienst-Check“ von Freitagnacht an 237 Einrichtungen vor. Verdi will damit wachrütteln und schockieren: „Die Überwachung verwirrter Patienten kann nicht sichergestellt werden, Schwerstkranke, Patienten auf der Onkologie und Sterbende werden nicht angemessen betreut, es gibt Fehler bei der Medikamentengabe und beim Verbandswechsel.“ Und weiter: „Das alles ist unwürdig, gefährlich und kann sogar tödlich sein.“ Die Ergebnisse der deutschlandweiten Befragung von Schwestern, Pflegern, Helfern und Ärzten im Überblick:

Personal pro Patient: Bei mehr als der Hälfte der von Verdi getesteten Stationen war in der Nachtschicht genau: eine einzige Pflegekraft. Bei 55,8 Prozent der Stationen musste sich eine Fachkraft um durchschnittlich 25 Patienten kümmern. Auch wenn sich diese Zahl schon sehr hoch anhört, es geht noch schlimmer: Bei neun Stationen waren zwar zwei Kräfte im Dienst, allerdings auf riesigen Stationen mit 60 Patienten. Das heißt: 30 Kranke pro Person.

Auf zwei der Stationen musste eine Kraft sogar 34 Menschen betreuen. Die Folgen Der Personalmangel hat Konsequenzen für die Betreuung der Patienten: 55 Prozent der Pflegekräfte geben zu, dass sie manchmal (32 Prozent) oder oft (24 Prozent) nicht in der Lage sind, die Kranken so zu versorgen, wie es notwendig wäre.

Erschreckend: 59 Prozent sagen, dass gefährliche Situationen wie etwa ein Sturz aus dem Bett hätten verhindert werden können, wäre nachts mehr Personal da gewesen.

Die Intensivstation: Auch auf Intensivstationen gibt es laut Verdi viel zu wenig Personal in der Nachtschicht. Während sich verschiedene Verbände wie die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin seit Jahren für den Standard von einer Pflegefachkraft für zwei Patienten aussprechen, sieht die Realität häufig anders aus: Bei 33,7 Prozent waren es sogar mindestens doppelt so viele Patienten – vier oder mehr. Nur bei knapp acht Prozent der Stationen kümmerte sich tatsächlich eine Kraft um zwei Schwerkranke. Der Durchschnitt liegt bei 3,3 Patienten pro Pflegekraft. In Bayern sind es laut Angaben des Landesverbandes im Schnitt 3,1 Patienten pro Pflegekraft.

Das Pausen-Problem: Pausen während der Arbeitszeit sind gesetzlich vorgeschrieben. Auch im Nachtdienst. Tatsächlich verschnaufen können aber die wenigsten: Drei Viertel (72 Prozent) der Befragten sagen: Eine ungestörte Pause? Das gab es in der letzten Nachtschicht für mich nicht. Sie mussten die Pause abbrechen oder hatten gar keine Zeit dafür.

Was Verdi fordert: Wenn es nach der Gewerkschaft Verdi geht, sollen nachts und an den Wochenenden mindestens zwei Pflegekräfte auf jeder Station sein. Die Gewerkschaft will zudem, dass die Bemessung, wie viel Personal gebraucht wird, gesetzlich geregelt wird. Das soll dann von den Krankenhäusern verpflichtend sein.

Die Reaktionen auf den Test: Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Georg Baum, wirft Verdi unseriöses Vorgehen vor: „Zum einen hat die Gewerkschaft keine medizinische Kontrollfunktion und zum anderen schon gar keine medizinische Beurteilungskompetenz. Den in der Nacht in der Tat schwere und verantwortungsvolle Aufgaben wahrnehmenden Mitarbeitern mit suggestiv formulierten Fragebögen Defizite bei der Ausführung ihrer Arbeiten zu unterstellen, muss zwangsläufig zu absolut verfälschten Einschätzungen führen.“

Der Verbandssprecher der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen, Florian Lanz, ist alarmiert: „Es kann nicht sein, dass die Beitragszahler Jahr für Jahr mehr Geld für die Kliniken ausgeben, aber dann, wenn sie selber krank sind, keine Krankenschwester und kein Krankenpfleger da ist.“

 

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