Modeexperte über Politiker und Mode: "Trends wirken zu flatterhaft"
AZ-Interview mit Daniel Kalt: Der österreichische Modejournalist hat gerade das Buch "Staat tragen. Über das Verhältnis von Mode und Politik" veröffentlicht.
AZ: Herr Kalt, ist es nicht oberflächlich, über die Mode von Politikerinnen und Politikern zu sprechen?
DANIEL KALT: Mode ist sogar ein akademischer Gegenstand, der an Universitäten gelehrt wird – sowohl die Design-Praxis als auch als kulturwissenschaftliche Disziplin. Wenn man Mode auch als Spielweise von Kommunikation sieht, die die Zustände der Gesellschaft spiegelt, denke ich schon, dass man sich dem Thema auch im politischen Kontext nähern kann – wenn man es seriös tut.

Trends symbolisieren etwas Wechselhaftes
Warum ist Mode in der Politik wichtig?
Sie ist Teil der visuellen Kommunikation – seit Mitte der 90er Jahre hat sie hier ein vorrangiges Gewicht. Das heißt, wenn man eine moderne Kommunikationsstrategie entwirft, wäre es ein Versäumnis, diesen Aspekt zu vernachlässigen. Die Kleidung muss dabei gar nicht als modisch wahrgenommen werden, sondern stimmig funktionieren. Ich will nicht bewerten, ob jemand gut oder schlecht angezogen ist. Sondern: Geht das auf in seinem Kommunikationszusammenhang?
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Politiker mit ihrer Kleidung zeigen können, dass sie gut deutbar sowie zuverlässig sind, und trotzdem ihren eigenen Stil haben. Wem ist das beispielsweise gut gelungen?
Angela Merkel hat das auf sehr eingängige und sehr gut funktionierende Art und Weise gelöst. Auch wenn sie sich in den 90er Jahren noch gegen das "Aufgestyltsein" ausgesprochen hat, fand sie dennoch einen Weg, ein sehr markantes Auftreten zu kreieren – ohne modisch im eigentlichen Sinn zu sein. Darum geht es letzten Endes: Politikerinnen und Politiker tun gut daran, die tatsächlichen Trends zu umgehen, zumindest in ihren öffentlichen Auftritten, weil dem ein Moment des Flatterhaften oder zu Wechselhaften innewohnt. Von ihnen erwartet man sich Konstanz, Kontinuität, Zuverlässigkeit – auch in ihrem Auftreten und ihrer Kommunikation. Und natürlich auch bei den Inhalten, für die sie einstehen.
"Es ist interessant, wie sich Mode verändert"
Und Frau Merkel hat diese Kontinuität geschafft, mit ihrer Sammlung an Hosenanzügen und farbigen Blazern.
Mit dieser Merkel-Personaluniform war sie auch auf Gruppenbildern mit anderen Staatsoberhäuptern immer auf den ersten Blick auszumachen. Man wusste sofort, wo Angela Merkel in dieser Konstellation steht.
Dabei war der Hosenanzug bei Frauen früher überhaupt nicht klassisch oder gewünscht.
Das stimmt, diese Bekleidungsform war Frauen zunächst nicht zugedacht. Im 19. Jahrhundert gab es von Amelia Bloomer den Versuch, einen Hosenanzug für Frauen zu etablieren. Das gab damals wahnsinnige Empörung. Im 20. Jahrhundert haben Frauen diese Bekleidungsform auch im politischen Kontext eingefordert. Bemerkenswert: Noch Ende der 80er Jahre war es Frauen am Capitol Hill in Washington nicht gestattet, Hosenanzüge zu tragen. Je mehr Frauen in der Politik auftraten, desto mehr hat sich das normalisiert. Interessant ist auch, wie sich die Mode verändert. Eine jüngere Generation von Politikerinnen empfindet den Hosenanzug oftmals als zu konventionelle Kleidungsform und kleidet sich bewusst femininer.
"Annalena Baerbocks Lederjacke stand für etwas Rebellisches"
Sprechen wir von Annalena Baerbock, der deutschen Außenministerin.
Sie ist eine sehr prominente Vertreterin von jüngeren Politikerinnen, bei der das Gesagte gut zutrifft. Bei ihr sieht man auch den Unterschied zwischen einer Oppositionspolitikerin und ihrer Rolle als Ministerin. In der Opposition wurde ein Kleidungsstück oft mit ihr in Verbindung gebracht: die Lederjacke. Diese kann etwas Rebellisches kommunizieren. Hier war also auch auf Ebene des Dresscodes zu sehen, dass Frau Baerbock eine sehr selbstbewusste Oppositionspolitikerin war.
Und als Außenministerin?
Jetzt kleidet sie sich auch selbstbewusst-modisch, aber das rebellische Moment hat sie herausgenommen.
Werden Frauen mehr und härter bewertet als Männer?
Allein schon deswegen, da Frauen eine größere Bandbreite an Bekleidung zur Verfügung steht – Rock, Kleid, Hose. Dadurch eröffnet sich ein größeres Feld der Kommentare und Analysemöglichkeiten. Leider hat es sich bei Frauen mehr etabliert, ihr Äußeres mitzubewerten. Ich denke, je mehr Frauen in der Spitzenpolitik auftreten, und Männer gleichzeitig fantasievoller mit Bekleidungsformen spielen werden, desto mehr ändert sich vielleicht dieses Ungleichgewicht.
Auch Accessoires können Personen charakterisieren
Besonders Frauen können auch noch Accessoires mitbringen – etwa eine Handtasche...
(lacht). Oder darauf verzichten wie Madeleine Albright, die darauf geachtet hat, ohne Handtasche fotografiert zu werden. Sie fand, das schwäche den Look einer Frau. Das Gegenteil dazu war Margaret Thatcher, nach der im Englischen das Verb "to handbag" kreiert wurde. Weil sie ihre Handtaschen – übrigens von derselben Marke wie die der britischen Königin Elizabeth II. – verwendet hat, um ihre inhaltlichen Punkte mit Vehemenz zu unterstreichen, indem sie nicht mit der Faust auf den Tisch geschlagen hat, sondern mit ihrer Handtasche. Hier sieht man einen Extremfall, wie eine Person mit ihrem Accessoire verschmilzt.
Schwächt oder stärkt ein Accessoire wie die Handtasche nun die eigene Position?
Bei Kleidungsformen kommt es immer auch auf die Person an, weil nicht jedem alles steht und sich nicht jeder mit allem wohlfühlt.
Wie sehr kann es an der politischen Karriere kratzen, wenn man nicht auf die Botschaft seiner Kleidung achtet?
Man kann sich bei der Allgegenwärtigkeit der Bilder und auch in Zeiten Sozialer Medien wie Instagram oder Tiktok gar nicht leisten, nicht darauf zu achten. Man darf in diesen Zeiten nicht vergessen, dass das Auftreten immer mitbeurteilt wird beziehungsweise etwas mitkommuniziert.
"Mit Luxusartikeln müssen Politiker vorsichtig sein"
Sie haben vorher schon erwähnt, Politiker sollten nicht jedem Modetrend hinterherjagen, weil das flatterhaft wirken kann. Wie schaut es mit teurer Mode aus?
Hier muss man schon sehr darauf achten, wenn man sich mit Luxusartikeln zeigt. Da Politiker letztlich auch Beamte sind, kommt das Geld von den Steuerzahlern. Das ist ein Grund, warum sich Bürger und Wähler daran stören, wenn Politiker mit allzu teurer Mode oder prassend auftreten.
Welche Fauxpas gibt es noch bei der Mode-Kommunikation?
Der Grund-Fauxpas ist wie gesagt, außer Acht zu lassen, dass man eine Person des öffentlichen Lebens ist und noch bevor man das erste Wort gesprochen hat, vom Publikum visuell eingeordnet wurde. Unterbewusst hat jeder die Sprache der Mode als Rüstzeug mitbekommen.
Was wären weitere Fehlgriffe?
Eine Kommunikationskatastrophe finde ich nach wie vor den Auftritt von Melania Trump mit ihrem Parka vor Flüchtlingsfamilien in Texas – auch noch von einem Textildiscounter, wo man weiß, der Parka ist so günstig, dass er fast schon nicht mehr unter sozial-nachhaltigen Bedingungen hergestellt worden sein kann – mit der Aufschrift auf dem Rücken: "I really don't care - do you?" Das lässt sich unmöglich von der Situation entkoppeln – man konnte sich da nur an den Kopf fassen.
Donald Trump hat seinen ganzen eigenen Look
Auch ihr Mann Donald Trump fiel in seiner Amtszeit nicht unbedingt positiv auf. Er trug etwa immer zu große Anzüge. Was müsste er an seinem Outfit ändern, wenn er nochmal US-Präsident werden will?
Tatsächlich muss man sagen, dass seine Art, sich zu kleiden, und wofür er in der Politik steht, sehr gut zusammenpassen. Der Geschäftsmann und Milliardär, aus den 80er Jahre kommend. Das Überschnittene, Kastenförmige an seinen Anzügen war auch ein Gegenstück zu den Slim-Fit-Politikern, die figurbetontere Anzüge und Hemden tragen. Damit entsprach er auch optisch dem, was seine Wählerschaft von ihm erwartete – er hat ja nicht progressive Politik vertreten. Dazu kommt das kuriose Gadget: die rote Baseball-Kappe mit "Make America great again". Man kann zu ihm und seinem Look stehen, wie man will, aber an sich wäre sein Beraterteam gut beraten, daran nicht zu viel herumzuschrauben.
Es war also stimmig, die Mode passte zu seiner Politik. Kommen wir zu Tracht, in Bayern nicht zu vernachlässigen. Was soll sie kommunizieren?
Um sie kommt man im süddeutschen Bereich nicht herum. Gerade in einer Wahlkampfphase treten Politiker in Festzelten auf und es wäre schon eine Aussage, dort keine Tracht tragen zu wollen. Heutzutage steht sie für einen gewissen Wertekanon, Traditionsbewusstsein, Heimatverbundenheit.
In Bayern steht bis Herbst Wahlkampf für die Landtagswahl an. Werden wir also vermehrt Lederhosen und Dirndl zu sehen bekommen?
Das würde mich nicht wundern. Und Lebkuchenherzen (lacht).
Daniel Kalt: Staat tragen. Über das Verhältnis von Mode und Politik, Kremayr&Scheriau; 24 Euro
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