„Mit ihm stirbt die Haute Couture“
Säulenheiliger der Modetempel und oberster Frauenversteher. Yves Saint Laurent wurde nur 71. Er hat die Welt der feinen Kleider verändert wie kein Zweiter – von Romy Schneider bis Claudia Schiffer: „YSL“ zog sie alle an
Schwarze Fliege, die Haare senf-blondgefärbt, die Wangen tief eingefallen. Inmitten seiner Modells präsentierte sich Yves Saint Laurents im Januar 2002 ein letzte Mal im Pariser Centre Pompidou. Sein Blick starr, abschweifend. Der Krebs hatte den Couturier gezeichnet. Am Sonntag starb Yves Saint Laurent mit 71 Jahren an einem Gehirntumor. „Er ist eine absolute Ikone. Mit ihm stirbt die Ära der Haute Couture“, sagt Kerstin Schneider, Modechefin von „Elle“. Eine Ära, in der es im Modezirkus nicht nur um Topmodels, It-Bags und die pompöseste Anzeige ging.
Zusammen mit Christian Dior und Coco Chanel machte Saint Laurent Paris zur Hauptstadt der Mode. „Er hat für seine Kleider gelebt“, sagt Schneider, die den Designer einst in seinem Salon besuchte. „Er konnte mit einer Faszination jedes einzelne Kleidungsstück erklären, dass man Ehrfurcht bekam.“
Doch Mode war für ihn, der in Algerien geboren wurde, nie eine reine Kunstform. Zuerst einmalwar die Schneiderkunst Handwerk. Als 17-Jähriger gewann er mit dem Entwurf für ein Cocktailkleid den ersten Preis eines Modezeichner- Wettbewerbs – und stach Mitbewerber Karl Lagerfeld aus. Christian Dior holte ihn als seinen Schüler nach Paris, lehrte ihn das damals gängige Liniendiktat: Jede neue Saison propagierte das Traditionshaus eine neue Linie, einen Stil, der einmalig war.
"Leise präsent, nicht skandalös"
„Er hat die Tradition durchlebt, hat von der Pike auf gelernt und konnte so über Jahrzehnte gleichbleibende Qualität liefern“, sagt Ingo Brack von der Münchner Modeschule „Esmod“. Höchste Qualität, perfekte Passform, innovative Schnitte. „Saint Laurent war leise präsent, nicht skandalös. Und er hat sich nie billig kaufen lassen.“
Und doch war er seiner Zeit voraus. „Geradezu revolutionär war sein Verständnis von der Rolle der Frau“, sagt Designer Adrian Runhof. „Sie sollte stark sein, und deshalb verführerisch. Damit hat er der Frauenbewegung um Generationen vorgegriffen.“ Saint Laurent steckte die Damen in Hosen, in Smokings, in Trenchcoats, in schmale Röcke und in strenge Blusen. „Er hat der Garderobe der modernen Frau den Weg geebnet. Kein Modedesigner konnte sich seinem Einfluss entziehen“, so Runhof. Catherine Deneuve, Romy Schneider oder Laetitia Casta liebten seine Entwürfe. Und auch wenn Saint Laurent der Meister der hohen Schneiderkunst war, brachte er 1966 eine der ersten Prêt-à-Porter- Kollektion auf den Markt, und machte seine Mode so einem breiteren Publikum zugänglich.
„Das schönste Kleidungsstück für eine Frau sind die Arme eines Mannes, den sie liebt. Aber für alle diejenigen, die dieses Glück nicht haben, bin ich da“, sagte er einst. Doch der Ruhm setzte Saint Laurent zu. „Es waren die Ups and Downs, die der Ruhm mit sich brachte, mit dem Saint Laurent nicht fertig wurde“, sagt Runhof. Auch sein langjähriger Freund und Partner Pierre Bergé konnte ihm keinen halt geben. Oft erlebte Runhof, wie Saint Laurent abends völlig umnachtet, seinen Hund spazieren führte. Schon als junger Mann musste er den Wehrdienst wegen Nervenzusammenbrüchen quittieren. Durchzechte Nächte mit Andy Warhol ließen Saint Laurent in Depressionen rutschen. „Ich habe Angst und schreckliche Einsamkeit kennengelernt“, sagte er 2002. „Beruhigungsmittel und Drogen, falsche Freunde, das Gefängnis der Depression und Sanatorien. Aus all dem bin ich herausgekommen.“
"Wie ein Arschloch"
Zufluchtsort war das Atelier in der Pariser Avenue Marceau, der „ureigenste Ort des Modeschöpfers, das für ihn die ganze Welt ist und ihn zugleich vor ihr beschützt“, so heißt es in einem Vorwort zu seinem Lebenswerk. Nur einmal sollte den Altmeister sein Händchen trügen: 2000 machte er den New Yorker Wunderknaben Tom Ford zum Chefdesigner. Zwei Jahre später war die Zusammenarbeit beendet, die Freundschaft auch. „Es tut mir Leid, das so drastisch sagen zu müssen, aber Mr. Saint Laurent hat sich verhalten wie ein Arschloch“, sagte Ford in einem Interview. Der Franzose sei ein „verbitterter alter Mann“. Saint Laurent konterte mit gewohnt ruhigen Tönen: „Es war schmerzlich zu sehen, was Ford aus meiner Marke YSL gemacht hat."
Ob es nun Fords Design oder Saint Laurents Traditionsversessenheit war, das Label hat sich nie wieder erholt. Zuletzt wurde der Kundenstamm auf knapp 100 Personen geschätzt. YSL schreib Verluste von über zehn Millionen Euro. Heute gehört die Marke „YSL“ zu Gucci. Dabei würde ein Rückbesinnen auf Yves Saint Laurents Werte der Branche gut tun, meint Mode-Expertin Kerstin Schneider. „Die Masse an Designern ist endlos, was nicht immer für Qualität stehen mag. Es wäre schön, wenn man sich wieder mehr auf die Kleidungsstücke bei den Schauen konzentrieren würde.“ Und auch Ingo Brack fragt sich für die kommenden Modedéfilées: „Valentino tritt ab, Saint Laurent stirbt, was bleibt da noch übrig?“
Anne Kathrin Koophamel
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