Missbrauchsskandal: Auch Frauen unter den Beschuldigten

BERLIN - Eine vom Canisius-Kolleg beauftragte Anwältin ist fassungslos angesichts der Dimension des Missbrauchs: Insgesamt sind 115 Ex-Schüler und bis zu zwölf Patres betroffen. Aber auch Frauen werden beschuldigt.
Nicht nur die Padres sollen es gewesen sein, die ihre Schützlinge an intimen Stellen berührt haben, Nacktaufnahmen von ihnen gemacht, sie auf den entblösten Hintern geschlagen haben. Inzwischen werden auch zwei Frauen beschuldigt, sich an ihren Schülern vergangen zu haben. Erstmals sollen außerdem auch Schülerinnen Opfer von Übergriffen geworden sein.
„Das hat eine Dimension angenommen, die bisher nicht zu ahnen war“, sagt die von den Jesuiten beauftrage Anwältin Ursula Raue. Bei ihr haben sich jetzt auch Opfer gemeldet, die nicht an Jesuiten-Schulen waren. 115 Missbrauchsopfer aus ganz Deutschland haben sich bisher bei der Anwältin gemeldet. Im Theater am Kurfürstendamm in Berlin hat sie gestern ihren Zwischenbericht zu dem massenhaften Missbrauch vorgestellt. Nach Raues Worten berichten die Opfer vor allem von Manipulationen an ihren Genitalien und von zudringlichen Zärtlichkeiten, weniger von körperlichen Verletzungen.
Manche Opfer haben sich das Leben genommen
Sie habe auch Berichte über Opfer, die sich das Leben genommen hätten, sagte die Anwältin. Manche Männer offenbarten sich zum ersten Mal und hätten selbst mit ihren Ehefrauen zuvor nicht über ihr Leid gesprochen. Erstaunlich sei, dass es in den Personalakten des Jesuitenordens, die sie ausgewertet habe, an keiner Stelle um das Seelenleben der Kinder gehe.
Das Berliner Canisius-Kolleg hatte im Januar die ersten Missbrauchsfälle bekanntgemacht. Immer mehr Opfer meldeten sich, auch von den Jesuiten-Schulen St. Blasien im Schwarzwald und vom Aloisiuskolleg in Bonn. Die bisher bekanntgeworden Fälle sexuellen Missbrauchs hatten sich in den 70er und 80er Jahren zugetragen.
Fälle aus den 60er Jahren
Bis zu zwölf Lehrer, sagte Ursula Raue, sollen ihre Schüler missbraucht haben. Die Beschuldigten sind ihr namentlich bekannt. Sie geht aber davon aus, dass alle Taten mittlerweile verjährt sind.
Auch an einer Schule der katholischen Pallottiner-Gemeinschaft in Rheinbach bei Bonn ist es früher zu Missbrauchsfällen gekommen. Das bestätigte Pallotiner-Sprecher Nicolas Schnall am Donnerstag. Es handle sich dabei um drei bekannte Fälle mit Jugendlichen aus den 60er Jahren im früheren Konvikt St. Albert. Der betroffene Pater ist damals suspendiert worden.
Einer der Jugendlichen habe sich damals bei der Konviktleitung gemeldet. Und vor eineinhalb Jahren habe sich noch einmal ein ehemaliger Schüler gemeldet, dessen Angaben sich auch auf die 60er Jahre und den damals suspendierten Pater bezogen hätten.
Das Vinzenz-Pallotti-Kolleg ist mit rund 760 Schülern ein staatlich anerkanntes privates Gymnasium und das einzige Jungengymnasium unter Trägerschaft der Pallottiner in Deutschland. Die Pallottiner sind eine Gesellschaft apostolischen Glaubens in der römisch-katholischen Kirche.
"Komödie" der Kirche
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, schweigt weiter eisern zu dem Thema. Er wolle sich erst am Montag, bei der Frühjahrsvollversammlung der Bischöfe äußern, sagte eine Sprecherin.
Kritik übte die Theologin Uta Ranke-Heinemann: „Die Kirchenoberen spielen dem Volk eine Komödie vor. Und der Papst weint Krokodilstränen statt den Betroffenen zu helfen“ lka