Missbrauchs-Skandal: Warum schwiegen alle?

BERLIN - Im Missbrauchs-Skandal um das Canisius-Kolleg der Jesuiten werden immer grausamere Details bekannt: Sado-Maso mit dem Pater - und der Orden hat wissentlich nichts unternommen.
In der Affäre um den Missbrauch von Schülern am Berliner Canisius-Kolleg des Jesuiten-Ordens werden immer schrecklichere Details bekannt. Ehemalige Opfer berichten darüber, was ihnen angetan wurde. Und immer mehr verdichtet sich, dass der Orden seit 1991 von den Übergriffen der Patres wusste – aber nichts unternahm.
Der heutige Provinzial der Jesuiten in Deutschland, Stefan Dartmann, bestätigte, dass der Orden 1991 Kenntnis von den Straftaten hatte. Man habe jetzt eine Anwältin mit einer Prüfung der Akten beauftragt, „um festzustellen, was genau die Jesuiten damals wussten und welche Konsequenzen erfolgten.“ Gestern Abend wollte Dartmann weitere Details bekannt geben.
Informiert wurde der Orden damals von Wolfgang S., dem jetzt geständigen Pater. „Ich habe meine Provinzialoberen über meine verbrecherischen Taten informiert“, sagte S. dem „Spiegel“. Der jetzt in Chile lebende 65-Jährige wandte sich im Januar in einem Brief an die Opfer und zeigte Reue. Es sei eine „traurige Tatsache, dass ich jahrelang Kinder und Jugendliche unter pseudopädagogischen Vorwänden missbraucht und misshandelt habe“, heißt es in dem Brief. Auch der Vatikan war laut S. über die Verfehlungen im Bilde. Der Lehrer habe dort „Zeugnis von meiner nichts beschönigenden Ehrlichkeit“ abgelegt.
Sein „Komplize“ Peter R. hatte das Kolleg schon 1980 verlassen, weil bei ihm angeblich pornografische Fotos gefunden worden waren, 1981 folgte Wolfgang S.
Den wahren Grund für ihre Versetzung verschweigt der Jesuiten-Orden gegenüber den neuen Arbeitgebern der Patres. S. zum Beispiel unterrichtete weiter Kinder an der Hamburger Sankt-Ansgar-Schule und im Kolleg St. Blasien im Schwarzwald.
„Vor seiner Einstellung hat mir niemand etwas von den Vorwürfen gesagt. Ich musste es selbst herausfinden“, sagt der damalige Direktor von St. Blasien, Hans Jochaim Martin der „B.Z.“. Schon 1984 meldete er dem Jesuitenorden, dass Wolfgang S. auch an seiner Schule Jugendliche missbraucht haben soll. Wiederum passierte nichts.
Auch in Hamburg meldeten sich zwei Schüler, die Opfer des Jeuiten-Paters geworden waren. „Das, was viele befürchtet haben, hat sich bewahrheitet“, so Bistums-Sprecher Manfred Nielen.
Peter R. arbeitet sogar zehn Jahre lang als Pfarrer in der Gemeinde „Guter Hirt“ im Bistum Hildesheim (Niedersachsen), betreute dort Gruppenreisen von Jugendlichen. Nach Informationen der „B.Z.“ soll er auch dort von einem Mädchen wegen sexueller Belästigung angezeigt worden sein.
Im „Tagesspiegel“ berichtet ein Mann, wie er von 1975 bis 1979 in Berlin von einem der beschuldigten Patres mehrmals im Schulkeller missbraucht wurde. 1981 hätten er und sieben Mitschüler einen Brief an ihre Schule und das bischöfliche Ordinariat geschrieben. „Es kam nie eine Reaktion“, sagte er.
Ein 47-jähriger Mann schildert den Missbrauch und sagt: „Es gab immer Gerüchte. Es kann mir niemand erklären wollen, dass diese an den Türen der Verantwortlichen stoppten.“ Ein anderer früherer Schüler, Johnny Haeusler, schreibt in seinem Blog „Spreeblick“ von damaligen Gesprächen mit Mitschülern über Missbrauchsfälle und Hinweisen innerhalb des Ordens.
In Antworten auf diesem Blog berichtet ein „stefan.paul“ zum Beispiel über Schläge auf den nackten Hintern: „Spruch eines Paters: Macht der Schüler quatsche, quatsche, macht der Pater patsche, patsche“. Oder ein „ABC“ berichtet über Wolfgang S.: „Naja, ein paar Sado-Masi-Fotos mit ihn als Hauptperson, dezent im Schul-Foto-labor hinterlegt, haben ja ca. ’81 auch seine Karriere im Canisius-Kolleg abrupt beendet.“ mh