Missbrauch in der Großfamilie
ITZEHOE Zwölf Menschen lebten in dem unscheinbaren braunen Klinker-Haus. Doch statt Großfamilien-Idyll herrschte hinter den Fenstern in dem kleinen Örtchen Weddingstedt im Kreis Dithmarschen (Schleswig-Holstein) die reine Hölle.
Ein zehnfacher Vater hat dort gemeinsam mit seinen beiden halbwüchsigen Söhnen drei seiner sieben Töchter vergewaltigt und missbraucht. Systematisch, über Jahre hinweg. Die Mutter wusste davon und sah weg. Die älteren Schwestern wollen nichts geahnt haben. Jetzt wurden der 48-jährige Vater und sein 18-jähriger Sohn vom Landgericht Itzehoe verurteilt. Der Vater muss acht Jahre und sechs Monate ins Gefängnis. Der 18-Jährige erhielt eine zweijährige Jugendstrafe auf Bewährung. Gegen den 16-jährigen Sohn wird getrennt verhandelt, ein Urteil steht noch aus.
Stück für Stück kamen die grausigen Details ans Licht. Die 22-jährige Schwester berichtete dem Richter, wie es in ihrem Elternhaus zuging. Es habe zwei Bäder geben. „Eins war das Jungs-Klo, das andere war für die Mädchen.“ Zuerst habe man noch abschließen können. „Aber irgendwann war der Schlüssel weg.“ Ihre jüngeren Schwestern, heute 8, 13 und 17 Jahre alt, berichteten von Papa, der nachts in Boxershorts vor dem Bett gestanden habe. Oder von Papa, der die anderen Kinder aus dem Zimmer schickte, um mit einer Tochter alleine zu sein.
Die heute 17-jährige Tochter schrieb ihre Erlebnisse in ein pinkfarbenes Diddl-Tagebuch. Die Mutter der Mädchen soll das Buch gefunden, aber der Polizei verschwiegen haben. Die Töchter sollen sich mehrfach der Mutter offenbart haben. Doch die habe alle Vorwürfe abgeschmettert, von „Mädchenstreichen“ gesprochen oder ihre Kinder für psychisch krank erklärt.
Auch das Jugendamt des Kreises Dithmarschen steht in der Kritik: Das Amt hatte die Familie seit längerem betreut, will aber keine Anhaltspunkte für Missbrauch gesehen haben. Dass die Mutter auf einer Sex-Seite im Internet nackt mit einem Baby posiert und nach Seitensprung-Partnern gesucht hatte, fand das Jugendamt nicht bedenklich. Ein Eingreifen habe man für nicht nötig erachtet, sagte Landrat Jörn Klimant NDR Info: „Natürlich hat man sich das angeguckt. Das Ergebnis war kein Indiz für Missbrauch.“
Erst als eines der Mädchen Ende 2011 von zu Hause ausriss und sich der Mutter einer Freundin anvertraute, mit den Worten: „Ich komme erst wieder, wenn der Vater weg ist“ – erst da griff die Polizei ein und nahm den Vater und die beiden Söhne fest.
Und die Mutter? Die bagatellisierte die Taten bis zum Schluss: Das seien doch nur „Doktorspiele“ pubertierender Kinder gewesen.
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