Migräne: Presslufthammer im Kopf
München - Wer keine Migräne hat, hält sie oftmals für eine Ausrede. Dabei ist es eine ernstzunehmende Erkrankung. Woher die Kopfschmerzen kommen, wie häufig Medikamente eingenommen werden dürfen und was ein Schmerzkalender bringt – die Münchner Migräne-Experten Kirsten Wiseman und Dr. Bernd Herberger beantworten die wichtigsten Fragen:
Nur Kopfweh, oder ist es Migräne? Der häufigste normale Kopfschmerz ist der Spannungskopfschmerz, sagt Kirsten Wiseman. Dieser ist im ganzen Kopf zu spüren und fühlt sich eher dumpf und drückend an.
Bei der Migräne dagegen treten die Schmerzen in Attacken auf, häufig nur auf einer Kopfseite. Es ist ein stechender, heller, bohrender Schmerz. Oft ist er so schlimm, dass schon das Aufstehen zu anstrengend ist. „Migräne beeinträchtigt Betroffene im Alltag stark.“
Zudem muss es mindestens eine Begleiterscheinung geben, um den Schmerz als Migräne zu bezeichnen. Das kann etwa Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit oder auch Licht- oder Geräuschempfindlichkeit sein.
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Was löst solche Attacken aus? Es gibt bestimmte Trigger, die Migräne provozieren. Dazu gehören laut Dr. Bernd Herberger Überlastung und Stress, bestimmte Nahrungsmittel wie etwa Glutamat, Schokolade oder Rotwein. „Das sind die bekanntesten Lebensmittel, die Migräne auslösen.“
Aber auch das Wetter kann Migräne hervorrufen: „In Bayern können auch bestimmte Föhn-Empfindlichkeiten Migräne auslösen“, so Herberger.
Bei Frauen sind Anfälle oftmals an die Menstruation gebunden. „Häufig kommen zwei oder drei Auslöser zusammen.“
Im Erwachsenenalter sind Frauen dreimal so häufig betroffen
Wer ist am häufigsten davon betroffen? „Migräne gibt es schon im Kindesalter. Vor der Pubertät sind Buben und Mädchen gleich häufig betroffen“, sagt Wiseman. Im Erwachsenenalter tritt die Krankheit am häufigsten zwischen dem 35. und 45. Lebensjahr auf – hier sind Frauen dreimal so häufig betroffen wie Männer.
Warum das so ist, sei noch nicht abschließend geklärt. „Jedoch spielen hier sicher hormonelle Ursachen eine Rolle.“ So berichten laut Wiseman schwangere Frauen häufig, dass die Migräne-Attacken in dieser Zeit abnehmen.
Kann Migräne vererbt werden? Ja, sagt Herberger. „Wir kennen richtige Migräne-Familien, in denen jeder Migräne hat.“ Er rät Patienten, bei denen Migräne auftritt, nachzuforschen, ob etwa Onkel, Tante oder Cousin Attacken haben. Denn die Krankheit überspringe häufig auch Generationen.
Wie lange kann ein Migräne-Anfall dauern? Zwischen vier Stunden bis zu maximal drei Tagen, sagt Herberger. „Trotz Medikamenten“, fügt er an. Im Durchschnitt dauert ein Anfall etwa einen halben Tag.
Kann man sich deswegen krank schreiben lassen? „Ja, weil die Patienten dadurch zu sehr in ihrem Alltag eingeschränkt werden“, sagt Wiseman. Sie weiß aus ihrer Praxis-Erfahrung: Die meisten mit einer starken Migräne-Attacke müssen zuhause bleiben. „Die Migräne ist damit auch ein großes Problem für den Staat, weil dadurch Ausfälle entstehen.“
Wie wird Migräne behandelt? Als Erstes sollte man laut Herberger Auslöser erkennen. Dann gilt es, solche Momente oder Lebensmittel zu vermeiden. „Es gibt Patienten, die ganz klar erkannt haben: Es ist dieser Rotwein. Wenn sie den dann weglassen, bekommen sie keine Migräne mehr.“ Wer Migräne-Anfälle hat, dem bleibt nur eins: „Letztendlich kann man Migräne nur mit Medikamenten behandeln“, so Herberger. Dabei gilt: Sobald der Schmerz einsetzt, müssen „sofort“ die entsprechenden Medikamente eingenommen werden. Bei Migräne soll man nicht warten, sagt Herberger, sondern gleich reagieren. Denn die Wirkung der Medikamente wird schlechter, je weiter der Anfall fortgeschritten ist.
Welche Medikamente können eingenommen werden? Einerseits gibt es die einfachen Analgetika – von Aspirin bis Ibuprofen. „Einige Patienten reagieren darauf sofort.“ Weiter gibt es typische Migräne-Medikamente, sogenannte Triptane. Diese Wirkstoffgruppe hilft auch gegen Begleitsymptome wie Übelkeit. Sie sollten aber nur nach Absprache mit dem Arzt eingenommen werden.
Wie viele Tabletten darf man einnehmen? Das Gespräch mit dem Arzt ist hierbei unumgänglich. Wer etwa zu oft Aspirin einnimmt, kann dadurch wiederum Kopfschmerzen auslösen, sagt Herberger.
Grundsätzlich gilt: Man nimmt das Triptan einmal ein, erst frühestens nach sechs Stunden sollte die nächste Tablette geschluckt werden. Dann kann man es noch einmal einsetzen. „Bei den Triptanen ist es so, dass sie häufig erst einmal gut wirken, es dann aber nach Stunden wieder zu stärkeren Schmerzen kommt.“ Dennoch sollte man die sechs Stunden abwarten und auch nicht zwei auf einmal nehmen. Pro Tag sollte man nur ein bis zwei Tabletten nehmen.
Vorbeugend können Beta-Blocker eingesetzt werden
Die Schmerzklinik Kiel weist zudem darauf hin, dass Triptane nicht an mehr als zehn Tagen pro Monat genommen werden sollten. Denn dadurch könnte es zu einem Dauerkopfschmerz kommen.
Was sollte man bei einem Anfall tun? Hinlegen, sich ausruhen, abdunkeln. „Sehr viel mehr, um sich selbst zu helfen, gibt es leider nicht“, sagt Wiseman. Es gibt zwar auch Entspannungsmöglichkeiten, aber die sind in einer akuten Attacke nicht von so hoher Wirksamkeit wie die Medikamente.
Kann einer Attacke vorgebeugt werden? Vorbeugende Medikamente gibt es auch. Diese werden eingesetzt, wenn es mindestens drei Attacken im Monat gibt, wenn sie häufig bis zu 72 Stunden andauern oder wenn die gewöhnliche Triptane-Behandlung nicht anschlägt. Bei der Prophylaxe sind die erste Wahl, laut Wiseman, Beta-Blocker. „Das sind eigentlich Medikamente, die man etwa bei Bluthochdruck nimmt.“ Bei Migräne reicht oft eine sehr viel geringere Dosierung. Zudem gibt es noch den Calcium-Antagonisten Flunarizin und Antiepileptika, also Medikamente, die normal bei Epilepsie eingesetzt werden. Diese vorbeugenden Mittel müssen täglich eingenommen werden – eine Dauer-Therapie.
Was bringt ein Schmerzkalender? Ein solcher ist laut Herberger sehr sinnvoll. Er dokumentiert, wie stark zum Beispiel ein Anfall war, welche Symptome aufgetreten sind und welche Medikamente wie häufig eingenommen wurden.
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