Mehr Tests bei Symptomen oder Risikogruppen sinnvoll

Anders als am Anfang der Pandemie stehen in Deutschland jetzt mehr als 800.000 Tests pro Woche zur Verfügung. Die Frage lautet nun aber: Wann ist ein Test sinnvoll?
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RKI-Präsident Lothar Wieler: Nach Schätzungen seines Instituts haben in Deutschland rund 123.500 Menschen die Infektion mit Corona überstanden.
Christian Mang/POOL reuters/dpa/dpa RKI-Präsident Lothar Wieler: Nach Schätzungen seines Instituts haben in Deutschland rund 123.500 Menschen die Infektion mit Corona überstanden.

Berlin - Das Robert Koch-Institut (RKI) hat eine Ausweitung der Tests auf das Coronavirus empfohlen. Auch bei leichten Symptomen solle sofort getestet werden, je früher desto besser, sagte RKI-Präsident Lothar Wieler.

Eine generelle Testung der Bevölkerung ohne Symptome sei nicht ratsam. Abhängig von der Situation sei es aber sinnvoll, Risikogruppen durch häufigere Tests besser zu schützen - zum Beispiel in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen. Denn Infizierte könnten das Virus ausscheiden, bevor sie Symptome spürten.

"Es ist gut, die 800.000 Menschen in Pflegeheimen jetzt systematisch und wiederholt zu testen", sagte Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz der Deutschen Presse-Agentur. "Jedoch müssen auch die 300.000 Bewohner in Einrichtungen des Betreuten Wohnens und die Hundertausende Altenpflegekräfte in dieses Schema aufgenommen werden." Ebenso sei ein nachhaltiger Infektions-Grundschutz notwendig. Denn auf absehbare Zeit stehe kein Impfstoff zur Verfügung.

Amtsärzte, die sehr nahe am Infektionsgeschehen dran sind, sehen die Empfehlungen des RKI kritischer. Selbst regelmäßige Tests in Senioren-Einrichtungen böten nur eine Scheinsicherheit, sagte Patrick Larscheid, Amtsarzt im Berliner Bezirk Reinickendorf mit rund 265 000 Einwohnern. Wenn konsequent mit Hygienemaßnahmen gearbeitet werde, seien die Bewohner gut geschützt. Voraussetzung sei, dass genug und vor allem ausreichend qualifiziertes Personal mit entsprechenden Verhaltensregeln in einer Einrichtung arbeite. "Das ist die größte Sicherheit." Personal solle dabei nicht Bereiche wechseln - und ausreichend Schutzmaterial müsse natürlich vorhanden sein.

Nach Wielers Angaben liegt der Wert für Ansteckungen in Deutschland - die Reproduktionszahl - im Moment bei 0,76. Im Lagebericht vom Mittwoch ist ein Wert von 0,75 vermerkt (Datenstand 29. April, 0.00 Uhr). Das heißt, ein Mensch steckt weniger als einen anderen an. "Das ist eine erfreuliche Entwicklung", sagte Wieler. Das Institut nutzt inzwischen allerdings ein sogenanntes Vier-Tage-Mittel für die Schätzung der aktuellen Neuinfektionen und damit auch der Reproduktionszahl. Zuvor wurde ein Drei-Tage-Mittel verwendet. Am Ergebnis ändere sich dadurch nichts, betonte Wieler auf Nachfragen bei der Online-Pressekonferenz.

Amtsarzt Larscheid warnte davor, sich auf einzelne Zahlenwerte zu fokussieren. "Es führt zu gar nichts, sich auf eine Reproduktionszahl von 0,7 oder 0,9 zu versteifen. Wir müssen die Tendenzen beobachten." Sonst gerate das große Ganze aus dem Blick. "Wir müssen Infektionszahlen niedrig halten. Und bei mir im Bezirk gehen sie gerade wieder hoch."

Die reine Reproduktionszahl sei darüber hinaus mit großen Unsicherheiten verbunden. "Das ist ein epidemiologisches Problem. Man kann in der Praxis nur in den allerwenigsten Fällen genau sagen, wie viele Menschen ein Mensch angesteckt hat. Es wird immer Kontakte gegeben haben, die wir nicht kennen." Wenn die echte Gesamtzahl nicht bekannt sei, stünden auch Hochrechnungen auf wackeligen Beinen. Reproduktionszahlen allein könnten deshalb keine Grundlage für politische Entscheidungen sein. "Das einzige, worüber wir reden können, sind die Neuerkrankungen, die wir sehen - angesichts der bestehenden Erkrankungen."

In Deutschland stecken sich nach RKI-Angaben im Moment 1000 bis 1500 Menschen pro Tag mit dem Virus an. Vergangene Woche seien es 2000 gewesen. Die Meldedaten treffen allerdings mit einigen Tagen Verzögerung aus den Bundesländern beim RKI ein.

Deutschland stehe auch nach mehr als zwei Monaten am Anfang eines Marathons, von dem niemand wisse, wann er zu Ende gehe, sagte Wieler. Eine zweite oder dritte Infektionswelle halte eine Mehrheit der Wissenschaftler nicht für ausgeschlossen, so lange es weder Impfstoffe noch Medikamente gegen das neue Virus gebe - und auch keine "genialen Konzepte", wie sich der Erreger nicht ausbreiten könne. Auch die Immunität von Menschen, die die Infektion durchgemacht haben, sei noch nicht bewertbar.

Nach den RKI-Zahlen sind bislang 6288 Menschen in Deutschland im Zusammenhang mit Covid-19 gestorben. Der Altersdurchschnitt lag bei 81 Jahren. Die Sterberate liegt laut RKI derzeit bei 4 Prozent. Das heißt, das von den bisher registrierten Covid-19-Infizierten vier Prozent gestorben sind. Er gehe allerdings auch in Deutschland weiter davon aus, dass mehr Menschen an Covid-19 sterben als offiziell registriert werden, so Wieler.

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