Matthias Quent: Man kann die Rechten auch einfach rechts liegen lassen

München - Der Titel verspricht viel: "Deutschland rechts außen – Wie die Rechten nach der Macht greifen und wie wir sie stoppen können" heißt das aktuelle Buch des Thüringer Soziologen und Rechtsextremismusforschers Matthias Quent. Er hat Soziologie, Politikwissenschaft und Neuere Geschichte studiert, und mehrere Bücher zu Rechtsextremismus verfasst.

Auf gut 300 Seiten liefert der Experte, der unter anderem mit dem Preis für Zivilcourage der Stadt Jena ausgezeichnet wurde, eine detaillierte Analyse der Mechanismen und Strategien rechtsextremer und -populistischer Parteien und beschreibt die Entwicklung des aktuellen politischen Klimas. Am Dienstag stellt der Forscher sein Buch in München vor. Die AZ hat mit ihm gesprochen.
AZ: Herr Quent, mit Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken an der Spitze der SPD ist ein Austritt aus der GroKo zumindest wahrscheinlicher geworden. Würden Neuwahlen der AfD Auftrieb geben?
MATTHIAS QUENT: Es käme darauf an, wie der Wahlkampf geführt wird. Die AfD könnte geschwächt werden, wenn es eine stärkere Polarisierung zwischen SPD und CDU in der Frage der sozialen Gerechtigkeit gibt. Die AfD hat darauf keine einheitliche Antwort. Sie ist total gespalten zwischen einem national-sozialistischen Flügel in Ostdeutschland und einem marktradikalen Flügel in Westdeutschland. Wenn das Thema Klimaschutz dominiert, ist es aber durchaus möglich, dass die AfD nochmal stärker wird im Vergleich zu den Bundestagswahlen 2017.
Warum Rechtsextremismus kein ostdeutsches Phänomen ist
Das Thema Klimaschutz ist also ein schlechtes im Kampf gegen Rechts?
Es ist ein wichtiges Thema, aber eines von großer kultureller und sozialer Sprengkraft. In der Klimaschutzfrage hat sich die AfD positioniert, sie schürt und instrumentalisiert Besitz- und Statusverlustängste vor der notwendigen ökologischen Transformation. Das heißt nicht, dass man dieses Thema nicht diskutieren muss. Aber als Wahlkampfthema mit dem Ziel, die AfD zu schwächen, taugt Klimaschutz nicht.
Sie leben im Osten. Im Oktober wollte ein Rechtsextremer in Halle einen Anschlag auf eine Synagoge verüben. Ist es Zufall, dass das in einer ostdeutschen Stadt passiert ist?
Das ist eine schwierige Frage. Es ist insofern kein Zufall, als dass es in ostdeutschen Regionen mehr rechte Gewalt gibt als in Westdeutschland. Aber es ist insofern Zufall, als dass vergleichbare Anschläge in den vergangenen Monaten auf der ganzen Welt stattgefunden haben. Und nicht zu vergessen: Der erste rechtsextreme Anschlag, der in dieser Art und Weise stattgefunden hat – also von einem rechtsradikal orientierten jungen Mann, der sich im Internet radikalisiert hat – war 2016 in München das OEZ-Attentat.
Der OEZ-Attentäter war 18. Und bei der Thüringer Landtagswahl wurde die AfD bei den Unter-30-Jährigen stärkste Kraft. In ihrem aktuellen Buch beschreiben Sie den Zuspruch für populistische Parteien aber als "in erster Linie eine nostalgische Reaktion einer älteren Wählerschaft".
Das hat mich tatsächlich erschrocken. Der Befund aus dem Buch bezieht sich vor allem auf weltweite Studien über die Zustimmung zu rechtspopulistischen Einstellungen und den entsprechenden Parteien und die Wahlergebnisse in Westdeutschland, die aufgrund des größeren Bevölkerungsanteils besonders wichtig sind. Mittlerweile hat sich die Polarisierung in Ostdeutschland verselbstständigt. Das habe ich bei diesem Satz noch unterschätzt.
Was meinen Sie damit?
Wir erleben eine Polarisierung zwischen einer rechtsradikalen Minderheit und einer demokratischen Mehrheit. Bei den Wahlergebnissen der jungen Menschen sehen wir, dass die Polarisierung im Grunde zwischen den Grünen und der AfD stattfindet. Daran orientieren sich die Jugendlichen und grenzen sich auch dadurch voneinander ab. Und viele übernehmen rechtsradikale Positionen einfach von ihren Eltern.
"Wer von Rassismus profitiert, fürchtet Machtverlust"
Sie sprechen von einer demokratischen Mehrheit und betonen im Buch, dass die Zahl der Rechten abnimmt und die Gesellschaft offener wird. Dann gibt es doch kein Problem?
Wir haben ein massives Problem. Trotzdem ist nicht alles verloren: Wir sind in der paradoxen Situation, dass wir einerseits als Gesellschaft so liberal und demokratisch sind wie nie zuvor, und dass andererseits die Gefahr, dass das nicht so bleibt, noch nie so groß war wie heute.
Warum ist das so?
Diejenigen, die von Rassismus, Sexismus und Diskriminierung lange profitiert haben, fürchten, dass ihre Macht und Privilegien verloren gehen. Zum Beispiel das Privileg, Frauen und Minderheiten unwidersprochen zu diskriminieren und auszubeuten. Man könnte Hans-Georg Maaßen (CDU, ehemaliger Verfassungsschutz-Chef, d. Red.) als einen Prototypen dieser Art benennen. Er hat keine reale Macht mehr und radikalisiert sich über diese Kränkung zunehmend nach rechts außen.
Aber was ist mit eher einkommensschwachen, bildungsfernen Menschen, die rechts wählen – die müssen doch keinen Machtverlust fürchten?
Auf kultureller und psychologischer Ebene schon, wenn sie nicht mehr unwidersprochen Sündenböcke für ihre Lage verantwortlich machen können. Diese Wähler haben den Eindruck, dass sich die Gesellschaft zu viel um Minderheiten dreht. Dabei gehört ein großer Teil der Bevölkerung irgendwelchen Minderheiten an. Frauen fordern plötzlich gleiche Rechte ein, Menschen aus anderen Ländern und Kulturen kommen, die ihren Anteil am gesellschaftlichen Ganzen haben wollen. Die Wähler von Rechtsaußenparteien fürchten also um die Macht, im Mittelpunkt zu stehen.
Sie kritisieren, dass Dinge, die in urbanen Zentren als diskriminierend gelten, für große Teile der Bevölkerung noch immer Realität sind. Leben Städter zu stark in einer Blase?
Es gibt ein Nebeneinander von unterschiedlichen Entwicklungsständen, das aber nicht nur das Stadt-Land-Gefälle betrifft, sondern auch unterschiedliche Milieus und Bildungsniveaus. Die Sensibilität, die insgesamt gewachsen ist, dringt nicht überall in die Breite durch. Ich zeige ja in dem Buch anhand von vielen Studien, dass fortschrittliche Themen wie Gleichberechtigung durchaus Mehrheiten haben. Es handelt sich also keineswegs um eine Verschwörung liberaler Eliten gegen die Bevölkerung, wie die Rechten gerne behaupten. Aber in der Tat müssen die Anstrengungen durch politische Bildung und Aufklärung verstärkt werden.
Sie sind mit Studentengruppen auf Erkundungen in unbekannte Stadtviertel und Kleinstädte gegangen.
Und die Studierenden haben mir gespiegelt, wie toll es war, dass sie mal nicht nur mit ihren WG-Partnern gesprochen haben oder mit ihren Kommilitonen, sondern – gerade wenn sie selber aus urbanen Kontexten kommen – Bezug zu anderen Realitäten bekommen haben. Von solchen Begegnungen verschwinden Vorurteile nicht über Nacht, aber sie helfen dabei, verschiedene Perspektiven wahrzunehmen.
Quent: "Die politische Vision ist abhanden gekommen"
Was kann jeder Einzelne tun, um Rechte zu stoppen?
Das fängt an beim Dagegenhalten in Sozialen Netzwerken, wenn Hasssprache auftaucht, und geht bis zur Arbeit in politischen Parteien. Gerade im ländlichen Raum ist ja ein Problem, dass Rechte Nischenfüller sind, wo sich demokratische Kräfte zurückgezogen haben. Man kann sich ehrenamtlich engagieren, auf Demonstrationen gehen, für demokratische Projekte spenden und das Umfeld sensibilisieren. Das Wichtige ist, nicht in Ohnmacht oder Resignation zu verfallen. Und natürlich: Nicht selber rechts werden. Eine Zeit lang war es ja die Strategie der Politik, rechte Positionen zu übernehmen – in der Hoffnung, dass man große Teile der AfD-Wähler zurückgewinnen kann.
Ist das überhaupt möglich?
Es gibt diverse Studien, die darauf hindeuten, dass etwa zwei Drittel der AfD-Wähler ein relativ geschlossenes Weltbild haben, das sich mit den AfD-Überzeugungen deckt. Ich halte es für ehrenwert aber naiv, darauf zu hoffen, dass man diese zwei Drittel zurückgewinnen kann.
Müssen die etablierten Parteien also einen Teil ihrer Wähler für immer verloren geben?
Wir müssen uns darauf einstellen, dass es die AfD – oder eine andere Rechtsaußenpartei – immer geben wird, mit einem Anteil von vielleicht acht bis 15 Prozent auf Bundesebene. Die Herausforderung ist, damit umzugehen, ohne rechtsradikale Positionen und Organisationen zu normalisieren. Deshalb schreibe ich im Buch, dass man die Rechten auch mal rechts liegen lassen kann und sich die Demokratie nicht durch Anpassung an die Rechten selbst demontieren darf.
Ihr Rat für die Politik?
Die politische Vision ist abhanden gekommen, die klassischerweise mal die Sozialdemokraten angeboten haben: Unseren Kindern wird es mal besser gehen als uns. Vielleicht ist da tatsächlich das neue Führungsduo in der SPD eine Chance – und damit sind wir wieder beim Anfang des Gesprächs. Es gibt durchaus ein großes Mitte-Links-Milieu, das wieder stärker mobilisiert werden kann, wenn Fragen wie soziale Gerechtigkeit mit echten Zukunftsversprechen gekoppelt werden.
Matthias Quent: Buchvorstellung im Alten Rathaus

Am Dienstag, den 10. Dezember, stellt der Rechtsextremismusforscher Matthias Quent im Alten Rathaus (Marienplatz 15) sein neues Buch "Deutschland rechts außen" vor und diskutiert mit dem Publikum. Veranstalter ist die Fachstelle für Demokratie der Landeshauptstadt München. Mit dabei ist auch der Journalist Robert Andreasch, der die Situation in München und Bayern beleuchtet. Beginn ist um 19 Uhr, das Platzangebot ist begrenzt. Eine namentliche Anmeldung ist erforderlich unter: fachstelle@muenchen.de
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