"Lieben lassen: Ein Rausch!"

Seine Augen glänzen, wenn es um Liebe und Literatur geht: Der Münchner Schriftsteller Roman Libbertz spricht im Interview über seinen neuen Roman mit Ariane Sommer.
München - Können Sie sich vorstellen, zwei Stunden lang mit einem völlig fremden Mann über Liebe zu reden? Das klappt nicht mal mit dem eigenen, werden sich nun wahrscheinlich einige Damen denken. Aber mit Roman Libbertz geht das. In seinem Roman „Lieben lassen“ geht es um sie, die Liebe. In allen ihren Variationen. Zart, berauschend, hart. Im AZ-Interview spricht er über seinen Debütroman „Lieben lassen“, starke Frauen, seine Zusammenarbeit mit Co-Autorin Ariane Sommer, Verliebtheits-Junkies – und natürlich über das Wort mit den fünf Buchstaben.
Herr Libbertz, Ihr gemeinsamer Roman mit Ariane Sommer heißt „Lieben lassen“. Ein mindestens zweideutiger Titel.
Roman Libbertz: Der Titel war einfach da. Er stimmt für mich.
Wie wollen Sie ihn verstanden wissen?
Wenn Neo Rauch Bilder malt, dann fragt er: „Was siehst du darin?“ Er erklärt nichts. Auch das Buch funktioniert so. Wie zum Beispiel das Anfangszitat von Bertold Brecht. Darunter steht B.B. – das könnte auch Brigitte Bardot sein. Oder Boris Becker. Ich möchte damit ein bisschen Unsicherheit hervorrufen, damit man sich genauer darüber Gedanken macht. Ich schreibe zum Beispiel auch einfach nur rot. Nicht rot-gesprenkelt oder schimmerndes Rot, sondern einfach nur rot. So kann sich jeder seine eigene Vorstellung davon machen.
Im Buch heißt es: „Was wir unter Liebe verstehen, hält im Schnitt nur eineinhalb Jahre.“ Was verstehen wir unter Liebe?
Was viele mit Liebe verwechseln, ist körperliche Anziehung. Die Verliebtheitsphase, Endorphine. Die ganzen Verliebtheits-Junkies, die es da draußen gibt: Die wollen sich schnell verlieben, nach sechs Monaten ist der Kick weg, dann die Nächste. Das noch gepaart mit dem Gefühl, nicht allein sein zu wollen.
Was ist denn dann richtige Liebe, also eine, die länger als 18 Monate hält?
Wenn man zu einem anderen Menschen gar nicht mehr sagen muss „Ich liebe dich“, sondern einfach nur die ganze Zeit mit ihm zusammen sein will. Ich glaube, dann hat man Liebe. Ohne Worte, ohne Bezeugungen. Denn wenn ich sage: Ich liebe dich, stelle ich mich ja in den Mittelpunkt und beanspruche deine volle Aufmerksamkeit in dem Moment. „Ich liebe dich“ ist eigentlich ein Satz, der nimmt. Das wird mir gerade bewusst. Danke! (lacht
Gerne. Das Buch wird aus zwei Perspektiven erzählt, „Sie“ und „Er“. Warum dieser Stil?
Wir haben in einem Antiquariat ein Buch aus den 1970er Jahren gefunden mit dieser Struktur. Durch den Wechsel zwischen „Er“ und „Sie“ entsteht ein Sog. Der Text fließt von alleine – ohne zusätzliche Elemente, die zum Weiterlesen anregen.
Das Gegenstück zu Liebe sind One-Night-Stands. „Er“ schreibt: „One-Night-Stands sind wie Krieg.“
Das ist totale Anziehung in dem Moment. Das hat aber nur mit Emotionen zu tun, nicht mit Gefühlen.
Die weibliche Hauptfigur, Fotografin Alex Mondo, hat immer wieder One-Night-Stands. Für sie ist es schwer, sich lieben zu lassen. Was wird damit ausgedrückt?
In der heutigen Gesellschaft wird einem vorgelebt, wie man individualistisch ist, wie man sich abschottet, wie man sich seine eigene Festung baut. Aber dann merkt man erst: Ich sitze ja alleine hier. Im Buch ist das natürlich eine Überspitzung, aber die beiden Figuren haben sich ihre eigene Gefängnisse gebaut und kommen nicht mehr raus, obwohl sie selbst den Schlüssel dazu hätten. Für die Liebe muss man frei sein. Sie wären frei, hätten alle Möglichkeiten, aber berauben sich selbst aller Möglichkeiten.
„Sie“ will keine Nähe zulassen. Woran hapert es bei der Figur Tom Weiss, dem erfolgreichen Werbetexter?
Er hat in seinem Leben keinen Beweis mehr für die Liebe. Die Mutter trinkt, der Vater ist nicht mehr da. Er hat nur noch Gestörte um sich herum, etwa eine Frau, die eine Krebserkrankung vortäuscht, nur um ihn zu einem Treffen zu bewegen. Er will ankommen. Wo, weiß er noch nicht. Er denkt zudem, alles dreht sich um ihn. Am Ende bekommt er genau von dieser Frau einen Anruf, dass sie einen neuen Freund hat. An dieser Stelle merkt er, dass sich eben nicht die ganze Welt um ihn allein dreht – die Welt dreht sich ganz anders.
Die beiden Charaktere sind eher untypisch: Sie, die starke Frau. Er, der an Liebeskummer zergehende Mann.
Ich bin der Meinung, wenn sich heutzutage Mann und Frau in einer Beziehung auf Augenhöhe begegnen, gewinnt die Frau. Das Buch stellt die Behauptung auf: Die Frau will einen Mann fürs Bett und einen fürs Herz, der Mann will nur eine Frau.
Ist das auch in der Realität so?
Das ist zu diskutieren. Es ist eine zentrale Frage des Buches. Es ist auf jeden Fall mehr als früher so. Ich glaube, bei den heute 20-Jährigen hat sich schon einiges gedreht. Da leiden auch die Männer, und die Frauen haben viel mehr die Hosen an. Die lassen sich nicht mehr so viel gefallen.
Die Rolle des gefühlsbetonten Mannes – gibt’s Ähnlichkeiten zum Autor?
Nee. Man sagt ja immer, 50 bis 60 Prozent sind zwischen Figur und Autor immer ähnlich. Das bekommt man nicht raus. Aber sehr viel mehr ist es auch nicht. Die Erlebnisse hatte ich nicht.
Kommt Tom Weiss deswegen auch nicht aus München, sondern aus Hamburg?
München ist zu nah an mir. Hamburg passt auch besser zu ihm, weil es eher für einen kühlen Charakter steht. Dazu ist Hamburg weiter weg von den anderen beiden zentralen Orten des Romans, Rom und Venedig, und damit ein stärkerer Gegensatz zum Süden.
Die beiden lernen sich in Rom kennen und verlieben sich. Es bleibt aber bei den Kapitel-Unterteilungen „Er“ und „Sie“. Es gibt kein „Wir“. Warum?
Weil das die Spannung macht. Man hofft auf das „Wir“. Sie lieben sich, aber kommen sie zusammen? Das wird sich am Ende zeigen.
Auch bei Ihnen und Mit-Autorin Ariane Sommer gibt es nur selten ein „Wir“. Wie schreibt man gemeinsam ein Buch, wenn der eine in München lebt, der andere in Los Angeles?
Emails.
Wie läuft das ab?
Warten. Viel Warten. Ich schreibe und schicke es ihr. Dann liest sie es und sagt, ob es so gut ist. Oder auch andersrum. Wenn man ein Buch zusammen schreibt, ist das ein großer Kompromiss. Wenn man es fließen lässt, kann das funktionieren. Das hätte ganz furchtbar werden können, aber wenn ich die Kritiken sehe, ist es ja nicht furchtbar geworden. (schmunzelt)
Zwei Autoren, zwei Schreibweisen – das Ende des Romans war vorgegeben?
Wir wussten, wo es hingehen soll, aber wir sind darüber hinausgegangen. Das hat sich frei entwickelt.
Da „Sie“ von Ariane Sommer geschrieben wird, und „Er“ von Ihnen, hat man als Leser automatisch Sie beide im Hinterkopf bei der Lektüre.
Deswegen habe ich zum Beispiel auf der Buchmesse keinen Anzug getragen wie der Protagonist. Hätte ich das gemacht, hätten sicher alle gesagt: Die haben doch sich selbst beschrieben. Aber natürlich ist das auch eine der mehreren Ebenen des Buches wie beim Titel. Wenn ich mich fragen muss: „Sind das die beiden?“ – dann bin ich im Text drin.
In Wirklichkeit ist es ja so: Sie haben sich erst vier Mal persönlich getroffen. Und dann gleich ein Buch zusammen geschrieben?
Wir hatten uns kennengelernt, damals haben wir beide Blogs geschrieben. Irgendwann hat sie mir eine Kurzgeschichte von sich geschickt. Da habe ich gemerkt, in dem Stil kann das klappen. Wir haben uns während des Schreibens ein Mal in Berlin getroffen und es war von Anfang an so, dass wir uns verstanden haben, man musste nichts erklären.
Die männliche Hauptfigur in Ihrem Buch bringt Ordnung in sein aus den Fugen geratenes Leben, indem er alles in drei Dinge zusammenfasst. Machen Sie das doch bitte auch für Ihr Buch „Lieben lassen“.
Eine interessante Aufgabe (schmunzelt). Das kann ich gar nicht auf Anhieb beantworten – kann ich ‘ne Mail schreiben?
Klar. (54 Minuten später, die Email ist da)
Drei Dinge über „Lieben lassen“: 1. Mann und Frau bleibt Mann und Frau. 2. Ein Rausch! 3. Was ist die Liebe?
Zur Person: Der 38-jährige Münchner Roman Libbertz ist Schriftsteller, Dichter und Maler. Er studierte Jura an der LMU München. 2007 brachte er sein erstes Kurzgeschichtenbuch heraus.
Lesung am Sonntag, 1. November 2015: Wer die Autoren Roman Libbertz und Ariane Sommer bei ihrem somit fünften Aufeinandertreffen sehen und hören möchte, hat am Sonntag, 1. November, in München die Möglichkeit dazu. Sie lesen aus dem Buch „Lieben lassen“ ab 19 Uhr in der Buchhandlung „Lost Weekend“, Schellingstraße 3. Der Eintritt ist frei.