Letzte Hoffnung für Pferde wie Tarek

Bei Deutschlands einziger „Pferdeklappe“ finden die Tiere armer oder überforderter Besitzer eine Zuflucht
von  Anja Perkuhn
Lady Motte lebt inzwischen an der Nordsee – hustenfrei.
Lady Motte lebt inzwischen an der Nordsee – hustenfrei. © Pferdeklappe

Bei Deutschlands einziger „Pferdeklappe“ finden die Tiere armer oder überforderter Besitzer eine Zuflucht.

München – An den meisten Tagen gibt es Tränen. Fast täglich kommen Menschen zu dem kleinen Hof in Norderbrarup in Schleswig-Holstein, um einen oder gleich mehrere geliebte Vierbeiner abzugeben. In der Regel, weil die Pferdeklappe ihr letzter Ausweg ist.

„Die meisten Leute, die ihre Tiere herbringen, reißen sie sich ja aus dem Herzen“, sagt Petra Teegen. „Sie sind traurig, sie schämen sich, sie haben das Gefühl, sie im Stich zu lassen. Dabei tun sie ja was ganz Gutes: Sie bewahren das Pferd vor Schlimmem.“

Lady Motte zum Beispiel, eine Stute aus Bayern. Sie hat chronische Bronchitis, die Besitzerin ist außerdem jetzt alleinerziehende Mutter. „Sie war überfordert. Das Tier wäre gestorben, wenn es dort geblieben wäre, es kriegte fast keine Luft mehr“, erzählt Teegen.

 

Es kommen auch Pferde aus Bayern – jeden Monat

 

Inzwischen hustet Lady Motte nicht mehr und ist medikamentenfrei. Seit zwei Wochen lebt sie an der Nordsee und gehört einem Mädchen. „Die hat sich so gefreut und so geweint, dass ich ihr sagen musste: ,Hör auf, das Pferd wird ganz nass!‘“, erzählt Teegen lachend.

Lachen und Weinen liegen nah beieinander bei ihrer Arbeit, sagt sie. „Ich bin froh, dass das Grinsen, wenn ein Transporter mit einem Pferd vom Hof zum neuen Besitzer fährt, dazugehört.“

Tarek wartet noch auf diesen Moment. Er war einst ein teurer Deckhengst, inzwischen ist er 25 Jahre alt. Wieder und wieder wurde der Araber verkauft, zuletzt lebte er bei einer Frau in Traunstein – bis der Tierschutz-Ring sich einschaltete. Und sich dann bei Teegen meldete. „Eigentlich ist er zu alt und nicht mehr vermittelbar“, sagt sie. „Aber wir suchen jetzt für ihn ein schönes Zuhause.“

2013 gründete sie den Verein und sucht seitdem hauptamtlich neue Zuhause. Die Tiere kommen aus der ganzen Republik. Auch aus Bayern, jeden Monat, erzählt Teegen. Finanziert wird die Arbeit über Spenden und Mitgliedschaften. 88 000 Euro hat das Aufnehmen, Versorgen, Hochpäppeln und Vermitteln der Klappenpferde allein 2015 gekostet. Ein Spalt im Huf, eine Entzündung in der Halswirbelsäule, Unterernährung – die Wenigsten kommen gesund an.

 

„Viele Leute verarmen inzwischen an ihren Pferden“

 

Neue Besitzer lösen mit dem Begleichen der Kosten die Pferde dann gewissermaßen aus. Gewinn machen darf die Klappe nicht – das ist eine der Auflagen für den gemeinnützigen Verein. „Wir sind auch kein Gnadenbrothof oder Hospiz“, betont Teegen. „Wenn man sein Kind in eine Babyklappe tut, bleibt es da ja auch nicht, bis es 82 ist.“

Einer der häufigsten Gründe, aus denen die Lady Mottes und Tareks dieser Welt abgegeben werden, ist Geldnot. Reiten ist ein Volkssport – aber eben ein extrem teurer. „Viele Leute verarmen inzwischen an ihren Pferden“, sagt Teegen.

Auch eine große Rolle spielt das Alter. „Oft ist der Grund, dass sich jemand nicht mehr selbst versorgen kann, weil er dement wird oder anders krank.“ 2015 kamen Pferde von zwei Frauen, die ins Gefängnis mussten. Immer wieder bringt der Tierschutz neue Fälle.

„In diesem Jahr sind schon 52 Pferde gekommen“, sagt die gelernte Krankenschwester Teegen. „Insgesamt haben wir mehr als 500 in neue Familien vermittelt.“ Und das ist nur die offizielle Zahl: Eigentlich vermittelt sie seit über 25 Jahren. Nachts arbeitete sie in einem Flensburger Krankenhaus, tagsüber baute sie einen kleinen Reitbetrieb auf – und kaufte Pferde auf und frei. „Irgendwann wusste jeder, dass ich mich kümmere – und dann stand manchmal einfach morgens ein Pferd am Zaun.“

Das passiert immer noch. Die meisten Menschen rufen an und bringen dann den Vierbeiner vorbei. Manche wollen aber gar keinen direkten Kontakt. Sie können ihr Pferd anonym auf eine spezielle Koppel stellen – und eine Abtretungserklärung hinterlassen, damit der Verein agieren kann. „Aber auch Menschen, die herkommen, frage ich nicht nach ihrem Namen, ich schaue auch nicht auf Autokennzeichen.“

Abnehmer gibt es glücklicherweise viele. Es kommen immer Reaktionen auf die Facebook-Fotos von Neuankömmlingen, immer wieder rufen Menschen an, die sich mit konkreten Vorstellungen auf die Warteliste setzen lassen. „Während wir sprechen, hat es schon 20 Mal geklingelt“, sagt Teegen. Ein bisschen Hoffnung auch für Tarek.


Pferdeklappe: 04641/46 29 34
Tierschutz-Ring Traunstein: 08666/92 78 581

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