Lebensmittelrisiken oft falsch eingeschätzt
Berlin - "Viele dieser Risiken sind eher gefühlte als tatsächliche Gefahren. Mit Statistik und Toxikologie hat das oft wenig zu tun", sagte Prof. Andreas Hensel, Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR), vor einer internationalen Tagung zu globalen Standards der Lebensmittelsicherheit in Berlin. Seit Jahren nehme dieser Trend zu. Auch der Risikoforscher Prof. Ortwin Renn betont mit Blick auf die Tagung: "Wir fürchten uns vor den falschen Dingen."
So durchleiden jährlich schätzungsweise eine Million Menschen in Deutschland eine Lebensmittelvergiftung - und oft ist mangelnde Küchenhygiene daran schuld. "Hier ist die Gruppe der 18- bis 25-jährigen Männer häufig betroffen, denn sie versuchen, lecker zu kochen, aber wissen leider kaum etwas über Hygiene", sagt Hensel. Viele Menschen fürchten sich dagegen vor allem vor Belastungen durch synthetische oder unerwünschte Stoffe in Lebensmitteln. "Diese Belastungen sind aber insgesamt dramatisch zurückgegangen, sie sind oft verschwindend gering."
Auch von den in der EU zugelassenen und bewerteten gentechnisch veränderten Produkten gehe nach dem derzeitigen Wissenstand keine Gesundheitsgefahr aus. Deutlich höhere Risiken bergen mikrobielle Belastungen mit Salmonellen- oder Campylobacterkeimen oder Pilzgifte. US-Amerikaner schrecken zum Beispiel eher vor Rohmilchkäse zurück.
Viele nationale Standards zur Lebensmittelsicherheit seien vor allem kulturell geprägt, sagte Hensel mit Blick auf die aktuelle Diskussion "Chlorhühnchen versus Hackepeter" im Rahmen des geplanten europäisch-amerikanischen Freihandelsabkommens TTIP. "Die US-Sicht ist pragmatisch und an der direkten Verbrauchergefährdung orientiert (End of the Pipe), während die EU eher den gesamten Herstellungsprozess (from Farm to Fork) sicher und nachvollziehbar haben möchte."
Dennoch: "Das Ziel kann nur sein, dass wir am Ende globale Sicherheitsstandards haben", sagt Hensel. Denn das Problem der unterschiedlichen Bewertung sicherer Lebensmittel aufgrund anderer kultureller Hintergründe gebe es nicht nur zwischen den USA und Europa. "Auch die Schwellen- und Entwicklungsländer melden sich, weil sie wegen der oft sehr niedrigen Schwellenwerte ihre Waren nicht in die EU liefern können, obwohl auch höhere Gehalte, selbst für empfindliche Bevölkerungsgruppen, noch sicher sind", sagte Hensel.
Die niedrigen und damit strengen Grenzwerte treffen die Bedürfnisse einer Gesellschaft, die sich dies auch leisten kann. "Ein Grenzwert, oder besser Höchstgehalt, ist eben nicht per se die Unterscheidung zwischen giftig und nicht-giftig, sondern beschreibt einen Handelsstandard", erklärt Hensel. Hier gebe es auch politischen Entscheidungsspielraum, was als sicher akzeptabel erscheint.
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