Lebensmittel-Expertin: „Ein Irrweg des Immunsystems“

Die Münchner Expertin Imke Reese erklärt, wie es zu einer Allergie auf Lebensmittel kommt und warum Verzicht der einzige Weg ist.
Rosemarie Vielreicher |
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Ob Käse, Obst oder Getreide: Viele Menschen reagieren auf Essen allergisch.
dpa Ob Käse, Obst oder Getreide: Viele Menschen reagieren auf Essen allergisch.

Die Münchner Expertin Dr. Imke Reese erklärt, wie es zu einer Allergie auf Lebensmittel kommt und warum Verzicht der einzige Weg ist.

AZ: Frau Reese, Experten schätzen, dass etwa sechs Prozent der Kinder und drei Prozent der Erwachsenen allergisch auf bestimmte Nahrungsmittel reagieren. Nehmen Lebensmittelallergien zu?
Imke Reese: Inzwischen sehen wir keinen Anstieg in den Industrieländern mehr. Dass wir Allergien aber vor allem dort beobachten, hat offenbar etwas mit der Hygiene zu tun.

Macht uns Hygiene anfälliger für Allergien?
Unser Immunsystem ist dadurch nicht mehr so fit. Es hat nicht mehr so viele Auslöser in der Umwelt, bei denen es lernt, wie es damit umgehen soll. Heute wachsen die Kinder unter sehr hygienischen Bedingungen auf. Das führt dazu, dass das Immunsystem seine Funktion gar nicht mehr richtig ausführen kann. Wir beobachten zum Beispiel, dass Bauernhof-Kinder seltener Allergien haben als Stadtkinder, weil die intensiver mit der Umwelt in Kontakt sind, sodass das Immunsystem besser unterscheiden kann, was abgewehrt werden muss und was nicht.

Unter den häufigsten Lebensmittelallergie-Auslösern sind Getreide, Milch, aber auch Senf. Wie häufig kommen diese Allergien tatsächlich vor?
Zur tatsächlichen Häufigkeit von Allergien gibt es nur wenig gute Daten. Wichtig ist: Die kennzeichnungspflichtigen Auslöser sind nicht immer die häufigsten, sondern auch die mit besonders schweren Reaktionen wie Senf. Deswegen gehört er zu den deklarierungspflichtigen Lebensmitteln.

Wie kommt es überhaupt zu einer Allergie?
Die Allergie ist ein Irrweg des Immunsystems. Das Immunsystem muss grundsätzlich immer entscheiden, wenn wir essen: Was ist fremd und was ist eigen. Bei den körperfremden Stoffen muss es dann unterscheiden zwischen harmlos und gefahrbringend. Bei der Allergie wird der harmlose Stoff als gefahrbringend eingestuft. Bei Kindern verschwinden die Allergien oft wieder. Das Immunsystem scheint zu lernen, dass Toleranz doch der richtige Weg ist. Das ist bei Kuhmilch und Ei-Allergien der Fall. Wir haben kaum Kuhmilch-Allergiker im Erwachsenenalter.

Kann ich jahrelang etwa Fisch essen und dann plötzlich dagegen allergisch werden?
Das kann sein, aber in der Regel ist es so: Was der Körper einmal in die Schublade „Kein Problem“ gepackt ha t, bleibt auch dort.

Wenn ich eine Allergie habe, muss ich das Lebensmittel meiden. Ist das wirklich der einzige Weg?
Wenn eine Allergie nachgewiesen worden ist, muss ich es meiden, das ist korrekt.

Ein Allergietest bringt darüber Klarheit?
Der Allergietest weist nur nach, dass es Antikörper im Blut gibt – das bedeutet, ob der Körper es erkennt. Das belegt aber noch nicht, dass eine Allergie vorliegt. Eigentlich ist der Begriff „Allergie-Test“ falsch. Eigentlich müsste es „Antikörper“-Test heißen.

Wie finde ich es dann heraus?
Indem ich es provoziere. Das heißt, ich esse unter Aufsicht eines Arztes das entsprechende Lebensmittel und warte die Reaktion ab. Aber wirklich nur unter Aufsicht.

 

Zur Person:

Dr. Imke Reese ist eine der vom Allergiebund vorgeschlagenen Ernährungsberaterinnen in München.

 

Die häufigsten Auslöser – und warum es oft Birkenpollen-Allergiker und Kinder trifft:

Die Symptome: Am häufigsten kommt es zu geröteter Haut, Juckreiz, Niesattacken, Atemnot oder auch Durchfall, Übelkeit und Erbrechen. Im schlimmsten Fall kann es laut dem Deutschen Allergie- und Asthmabund (DAAB) zu einem Kreislaufzusammenbruch kommen – der kann lebensgefährlich sein. Die Auslöser Prinzipiell können alle Lebensmittel Allergien auslösen – der Körper reagiert auf einen Stoff und produziert Antikörper.

Die Allergie muss dabei von einer Unverträglichkeit, wie auf Laktose oder Fructose, unterschieden werden. Bei diesen Unverträglichkeiten sind körperliche Prozesse gestört, so dass ein Nahrungsmittel entweder nicht richtig aufgenommen werden kann oder nicht richtig verarbeitet wird. Bei der Allergie dagegen schlägt das Immunsystem an.

Bei Säuglingen sind es meist Kuhmilch, Soja, Hühnerei und Weizen. Kinder reagieren häufig auf Nüsse, Erdnüsse und Fische. Bei Jugendlichen und Erwachsenen liegen die Probleme meist bei Gemüse (etwa Tomaten oder Auberginen) und Obst (Kiwi, Ananas) sowie Gewürzen (Zimt, Knoblauch) und Nüssen.

Die 14 häufigsten Auslöser von Lebensmittelallergien müssen nach der EU-Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung angegeben werden.

Die 14 häufigsten Auslöser sind:

- Getreide: Hier gibt es zwei Formen, die man unterscheiden muss: die Weizen-Allergie im Kindesalter und eine Form im Erwachsenenalter, in der Weizen in Kombi mit Anstrengung nicht vertragen wird.

„Das ist ganz gemein“, sagt Ernährungsberaterin Reese. „Die Leute essen jeden Morgen ihre Semmel und ihnen fehlt nichts. Und dann hetzen sie zum Bus und bekommen eine allergische Reaktion.“ Eine Weizen-Allergie ist im Erwachsenenalter fast immer mit Anstrengung verbunden. Laut DAAB muss bei Weizen auch auf verwandte Getreidesorten wie Dinkel geachtet werden, die Auslöser darin sind nahezu identisch. Je nach Beschwerden sollte auf Körner, Mehl, Stärke, Keime, Grieß und Graupen verzichtet werden.

- Krebstiere: Garnelen, Hummer und Co. lösen heftige Erscheinungen aus. Schon bei ein bis zwei Gramm Garnelen können etwa lebensbedrohliche Reaktionen auftreten.

- Eier: Reaktionen auf Hühnereier haben vor allem Säuglinge und Kleinkinder. Sie reagieren meist auf das Eiweiß allergisch. Die Allergie verschwindet bei vielen Kindern bis zum Schuleintrittsalter.

- Fisch: Bei Fisch ist laut Reese wichtig: „Wenn ein Fisch nicht geht, dann gehen in der Regel auch andere nicht.“

- Erdnüsse: Dieses Allergen nimmt zu. Tritt diese Allergie im Kindesalter auf, geht sie nur bei einem Fünftel der Patienten wieder weg, so Reese. Diese Art von Hülsenfrüchten ist eines der Lebensmittel, bei der schon eine sehr kleine Menge ausreicht, um lebensbedrohliche Symptome auszulösen.

- Soja: Hier gibt es zwei Phänomene: einerseits im Kindesalter – dann kann kein Soja gegessen werden. Es gibt aber auch eine Form, die Birkenpollen-Allergiker betrifft: In diesem Fall kann es sein, dass man auf Soja-Frischprodukte wie Joghurt oder Drinks reagiert, auf Mehl oder Soße aber nicht.

- Kuhmilch: Meist sind es Kleinkinder, die betroffen sind. „Sie verlieren die Kuhmilch-Allergie meist mit dem Schuleintrittsalter“, so die Expertin. Wer Milch meidet, muss bei der Ernährung auf genügend Calcium und Eiweiß achten. Vom Speiseplan müssen auch Käse, Sahne, Quark und Joghurt gestrichen werden.

- Haselnüsse (Schalenfrüchte): Dieses Allergen bleibt meist das ganze Leben über ein Auslöser. Auch hier gibt es eine reine Nuss-Allergie, aber auch die Kreuzreaktion mit Birkenpollen. Solche Betroffene können erhitzte Nüsse essen.

- Sellerie: Die meisten Menschen haben diese Allergie in Kombination mit Birkenpollen. Wird der Sellerie in einer Suppe verarbeitet, können Betroffene ihn essen.

- Senf: Bei uns gibt es wenige Senf-Allergiker, aus Frankreich sind dagegen Fälle mit heftigen Reaktionen bekannt.

- Sesamsamen: In letzter Zeit haben mehr Menschen allergisch auf Sesam reagiert. Das hat möglicherweise damit zu tun, dass immer mehr Sesam verwendet wird, wie etwa Brezen mit Sesam statt mit Salz.

- Weichtiere: Dazu gehören Schnecken, Muscheln oder auch Austern – der Klassiker für Allergien bei Erwachsenen.

- Süßlupinen: Sehr verwandt mit Erdnüssen – deswegen wurden sie auch anstelle derer verwendet. Seit Lupinen zu kennzeichnen sind, wird zunehmend darauf verzichtet.

- Schwefeldioxid und Sulfite: Sie kommen etwa in Konservierungsstoffen vor. Hier kann es zu Atemproblemen kommen. Kennzeichnungspflichtig ab zehn Milligramm auf ein Kilo.

Wo Sie Hilfe vor Ort bekommen:

Die Diagnose:  Laut dem Deutschen Allergie- und Asthmabund müssen vier Schritte durchgeführt werden:

1. Gespräch mit dem Arzt über die Symptome

2. Hauttest

3. Blutuntersuchung

4. Diät- und Provokationstest.

Ernährungsberater in Ihrer Region: Beim Verdacht auf Allergien nehmen Sie am besten eine individuelle Ernährungsberatung in Anspruch. Die Kosten werden von der Krankenkasse in unterschiedlicher Höhe bezuschusst. Der Deutsche Asthma- und Allergiebund (DAAB) vermittelt Ernährungsberater in Ihrer Region, Telefon  0 21 66/ 647 88 20.

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