Lametta und Co. schon im Advent: Der Trend zum Zweitbaum

Immer öfter werden Christbäume schon im Advent aufgestellt. „Ein Drama“, finden Brauchtumsfreunde. Die Industrie boomt: Knapp 30 Millionen Nadelbäume werden 2010 verkauft
von  Abendzeitung

MÜNCHEN - Immer öfter werden Christbäume schon im Advent aufgestellt. „Ein Drama“, finden Brauchtumsfreunde. Die Industrie boomt: Knapp 30 Millionen Nadelbäume werden 2010 verkauft

Am Weihnachtsmorgen schleichen die Kinder – barfuß und im Schlafanzug – hinunter in die Stube. Dort steht, wie von Zauberhand, ein großer Weihnachtsbaum, geschmückt mit roten Äpfeln und Gold schimmernden Kerzen. Diese Szene beschreibt nicht nur Astrid Lindgren in ihren Kinderbüchern. Für viele Kinder ist der Anblick des Christbaums an Weihnachten das, worauf sie sich wochenlang gefreut haben.

Doch immer öfter müssen Kinder nicht mehr den ganzen Advent darauf warten – denn viele Familien packen schon Wochen vorher Lametta und Lichterketten aus und stellen sich einen Tannenbaum ins Wohnzimmer. „Ein Drama unserer Zeit“, meint Brauchtumsexperte Manfred Becker-Huberti. „Wir haben das Warten verlernt.“ In Amerika ist es übrigens Tradition, den Christbaum an Thanksgiving aufzustellen – also am letzten Donnerstag im November. Dass der Baum an den Festtagen dann oft schon reichlich Nadeln lässt, scheint die Weihnachts-Early-Birds nicht zu stören.

Wundern muss man sich auch im alten Europa nicht über den Trend zum herbstlichen Weihnachtsbaum: Schoko-Nikoläuse lösen die Oktoberfest-Souvenirs in den Geschäften nahtlos ab, die Werbung bombt uns seit Wochen mit Schnäppchen zum Festtag zu, und die Weihnachtsklassiker rotieren auf den Radiostationen bis zur Besinnungslosigkeit. Warum auch nicht schon im Advent den Baum in die gute Stube holen, das erspart den Schmück-Stress an Weihnachten, und man hat länger was davon. „Es ist typisch für das Brauchtum insgesamt, dass es sich immer mehr vorverlagert“, so die Volkskundlerin Katja Wehse. „Weil es einem etwas so gut gefällt, will man es schon eher haben.“ Genau darin liegt das Problem, findet Brauchtumsexperte Becker-Huberti: „Wir haben für unser Leben die Regeln der Wirtschaft übernommen, nach denen wir alles sofort haben müssen.“

Die Wirtschaft profitiert übrigens von einer weiteren Entwicklung an der Christbaumfront: Denn in vielen Familien leuchtet der Baum nicht mehr nur im Wohnzimmer – auch auf den Balkon, in den Vorgarten oder ins Schlafzimmer kommen geschmückte Nadelbäume. Das ist auch Ursula Geismann vom Hauptverbandes der Deutschen Holzindustrie aufgefallen: „Es gibt eine Tendenz zum Zweitbaum.“

Jahr für Jahr werden mehr Tannen und Fichten verkauft, meldet der Verband: In den letzten zehn Jahren stieg die Zahl von 24 auf 29 Millionen verkaufter Bäume. 697 Millionen Euro machte die Branche letztes Jahr Umsatz. Dieses Jahr könnte es noch etwas mehr werden. Noch bezahlt man 16 bis 22 Euro für einen Meter Nadelbaum. Hält der Trend zum frühen, Zweit- oder gar Dritt-Baum an, könnten die Preise steigen. jo

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