„Küssen französisch pur“

Weil die Umsätze bröckeln, bieten immer mehr Prostituierte ihre Liebesdienste ohne Kondom an. Auch in Bayern. Da das hier verboten ist, wird’s in den Kontakt-Anzeigen verklausuliert.
von  Abendzeitung
Prostituierte sollen in einem Münchner Bordell zum Verzicht auf Kondome gezwungen worden sein.
Prostituierte sollen in einem Münchner Bordell zum Verzicht auf Kondome gezwungen worden sein. © dpa

Weil die Umsätze bröckeln, bieten immer mehr Prostituierte ihre Liebesdienste ohne Kondom an. Auch in Bayern. Da das hier verboten ist, wird’s in den Kontakt-Anzeigen verklausuliert.

Sanny spreizt sich schmollmundig unter dem Duschstrahl, Bille zeigt überquellende Brüste und Manu, die Massagen verspricht, schiebt ihren blanken Apfelpo ins Bild der Kleinanzeige. Und dann kommt's, fett gedruckt in schwarzen Lettern: „Saugen ohne Tüte“, „Küssen französisch pur“ und „Vollservice frz. total“. Prostituierte werben für Liebesdienste ohne Kondom. 67 000 Aids-Infizierte in Deutschland, 3000 Neuerkrankungen jedes Jahr, Syphilis, Tripper und Hepatitis B - und trotzdem, die Kontakte-Kleinanzeigen in vielen Großstadtzeitungen sind voll davon.

Der Sex ohne Schutz bringt 50 bis 150 Euro mehr

Manuela (25), die vermutlich anders heißt, seit einem Jahr „Eskortdame“ in Berlin, spricht es ganz unverblümt aus: „Na, fast alle Männer wollen das. Das verlangen die feinen Anwälte genauso wie Männer vom Bau, junge, alte, völlig egal. Wir haben sogar Pärchen hier, die wollen ohne Gummi.“ Lange suchen? Nein, das müsse kein Freier, nicht in der Hauptstadt, nicht in Bremen, nicht in Hamburg. „Die kriegen das auch. Es gibt ja genug Frauen hier, wir kämpfen alle hart ums Geschäft.“ 50 bis 150 Euro mehr bringt schließlich der Sex ohne Schutz. Ein gutes Argument – denn die Umsätze bröckeln.

Ein knappes Jahr nach Beginn der globalen Wirtschaftskrise ist der Druck auch in Deutschlands Bordellen, den Sex-Clubs und auf dem Straßenstrich angekommen. „Zehn bis 20 Prozent weniger Umsatz“, schätzt Richard Reichel, Wirtschaftswissenschaftler an der Uni Erlangen und Autor der Studie „Prostitution – der verkannte Wirtschaftsfaktor“. Bei rund 14,5 Milliarden Euro pro Jahr, die Männer in Deutschland noch in Vorkrisenzeiten für käuflichen Sex ausgaben, sind das immerhin eineinhalb bis drei Milliarden Euro weniger.

Nicht nur, dass zunehmend Freier wegbleiben. Immer mehr junge Prostituierte aus Osteuropa, zuletzt vor allem aus Bulgarien und Rumänien, drängen in deutsche Großstädte. Und immer mehr Althuren zwischen 50 und 60 kehren zurück auf den Strich. An die 150 000 Vollzeitprostituierte, sagt Reichel, arbeiten bundesweit hauptberuflich im Sex-Geschäft. Dazu kommen rund 250 000, die neben einem bürgerlichen Job anschaffen gehen.

Nur jede Zehnte verdiene gut, also über 2500 Euro im Monat. 50 Prozent kämen mit mittleren Einkommen durch. „Knapp die Hälfte schlägt sich, bei Vollzeitarbeit, mit 1000 bis 1500 Euro durch, vor allem bei den jungen Osteuropäerinnen im Billigbereich dürfte es an Aufklärung mangeln, sie wissen teilweise nicht, auf welches Risiko sie sich einlassen. Sie sind anfällig, einfach okay zu sagen.“ Zuhälter und Sexclub-Besitzer fackeln da nicht lange. Immer mehr werben mit Flatrate-Bordellen (Sex, Essen und Trinken, soviel Mann möchte), oder Pauschalpreisen (Frauen, so viele Mann pro Stunde schafft).

Freier mit Sonderwünschen? Haben da ein leichtes Spiel. Und die Sexanbieterinnen zunehmend Druck, Ärger und quälende Diskussionen. Lucy (22), Prostituierte in Hamburg, erzählt: „Erst debattieren sie die Preise runter, dann machen sie Stress wegen dem Gummi.“. Angela (38), seit neun Jahren im Gewerbe, sagt: „Wer unbelehrbar ist, wer nicht mal einlenkt, wenn ich ihn an seine Frau daheim erinnere, den schick ich weg. Aber es gibt viele neue Mädchen, die machen es trotzdem.“

In Bayern ist das nicht ganz so einfach. Hier hat das Land die Bayerische Hygieneverordnung erlassen. Die verbietet käuflichen Sex ohne Kondom. Und neuerdings zwingt sie Bordellbesitzer auch, im Lokal sichtbar Hinweise auszuhängen, auf denen das unmissverständlich zu lesen ist.

Huren schwärzen Kolleginnen an, die ohne Gummi arbeiten

„Die allermeisten Frauen arbeiten hier mit Kondom, der Wille zum Selbstschutz ist groß“, sagt Kriminalhauptkommissar Uwe Dörnhöfer von der Münchner Sitte. Razzien in den 21 hiesigen Bordellen, 122 Bordellwohnungen und den neun Anbahnungszonen, wie der Straßenstrich etwa an der Hansa-, Landsberger- oder Freisinger Landstraße heißt, haben die Szene vergleichsweise diszipliniert.

Selbst Zeitungsverlage werden mit Bußgeldern belangt, wenn sie Anzeigen abdrucken, in denen offen oder verdeckt für Sex ohne Kondom geworben wird. Schon verklausulierte Hinweise wie „französisch pur“ (das steht für ungeschützten Oralverkehr) oder „französisch total“ (ungeschützter Oralverkehr inklusive Samenerguss) sind absolut tabu.

„Aber es gibt auch hier Männer, die das wollen und Frauen, die das anbieten. Die machen das vor allem illegal im Sperrbezirk“, sagt Dörnhofer. In Privatwohnungen. Und in Hotels, in die „Eskortdamen“ kommen. Die Polizei weiß das, weil Prostituierte unliebsame Kolleginnen gern anschwärzen, „damit das nicht weiter einreißt. Wenn eine gefährlich arbeitet, spricht sich das rum“.

Eine wirksame Methode, Freier und Prostituierte vor sich selbst zu schützen, dürfte das langfristig kaum sein. Prostitutions-Experte Richard Reichel von der Uni Erlangen schlägt schon jetzt Alarm: „Noch ist die Krise nicht auf dem Tiefpunkt – und das Milieu auch nicht. Aber wenn die Arbeitslosenzahl erst mal auf fünf Millionen steigt, dann wird's richtig finster."

Irene Kleber

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