Kriminaler sind verunsichert: Die DNA-Verwirrung

Nach der peinlichen Panne um das „Phantom von Heilbronn“ suchen Experten nach den Ursachen für die Verschmutzung der Wattestäbchen
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Eine Laborantin untersucht eine DNA-Probe, die sich auf einem Wattestäbchen befindet.
dpa 2 Eine Laborantin untersucht eine DNA-Probe, die sich auf einem Wattestäbchen befindet.
Polizisten auf der Spurensuche nach dem Mord an ihrer Kollegin in Heilbronn
AP 2 Polizisten auf der Spurensuche nach dem Mord an ihrer Kollegin in Heilbronn

Nach der peinlichen Panne um das „Phantom von Heilbronn“ suchen Experten nach den Ursachen für die Verschmutzung der Wattestäbchen

STUTTGART Die peinliche Panne um die misslungene Fahndung nach dem „Phantom“ von Heilbronn“ (AZ berichtete) zieht immer weitere Kreise. Dass die mutmaßlichen DNA-Spuren nicht von einer Serien-Killerin stammen, sondern auf Verunreinigungen von Wattestäbchen zurückzuführen sind, hat vor allem eine Debatte über die Zuverlässigkeit von DNA-Tests ausgelöst. Die AZ beantwortet die wichtigsten Fragen:

Was unternehmen die Behörden, um den Skandal aufzuklären?

Auf der Suche nach der Herkunft der DNA-Spur des Phantoms hat die Polizei Speichelproben bei den Mitarbeitern eines bayerischen Plastikherstellers genommen. „Gestern war das LKA hier“, sagte der Geschäftsführer von Böhm Plastics, Lutz Unger, am Freitag. Das Tettauer Unternehmen stellt Hüllen her, die es mit zugekauften Wattestäbchen montiert. Die Spurensicherungs-Utensilien werden daraufhin untersucht, ob die bisher einer Serientäterin zugerechnete DNA an 40 Tatorten in Wirklichkeit von einer Beschäftigten der Lieferfirma stammen.

Gab es schon früher den Verdacht, dass mit der Spur zum „Phantom von Heilbronn“ etwas nicht stimmen könne?

Ja, in Österreich. Dort gab es im September 2008 bei einer tödlich ausgegangenen Prügelei ebenfalls DNA-Spuren, die auf die gesuchte Täterin hindeuteten. Doch die Kriminalisten in Linz konnten keine Verbindung des Falles zu der Frau herstellen.

Ein Sprecher des österreichischen Bundeskriminalamtes sagte „spiegel online“: „Für uns entstand der begründete Verdacht, es aller Wahrscheinlichkeit nach mit kontaminierten Werkzeugen zu tun zu haben.“ Anfang 2009 schlossen die Behörden dann aus, dass es das „Phantom“ tatsächlich gibt. Gleichzeitig wurden Wattestäbchen der Firma „Greiner Bio-One International“ als verunreinigte Spurenträger identifiziert.

Was sagt dieser Hersteller zu den Vorwürfen?

Das Unternehmen in der Nähe von Nürtingen ließ am Freitag durch eine Sprecherin erklären, dass die von ihnen vertriebenen „Abstrichbestecke“ nicht für die Verwendung von molekulardiagnostischen Analysen – zum Beispiel Speichelabstriche – vorgesehen seien. Warum sie trotzdem zu diesem Zweck verwendet wurden, blieb zunächst unklar.

Müssen genetische Fingerabdrücke künftig als Mittel zur Täterüberführung in Frage gestellt werden?

Eine Mehrheit sagt Nein – doch es gibt auch kritische Stimmen. „Wir stellen die DNA-Analyse nicht in Frage“ , sagt Konrad Freitag, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. Und auch Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz (SPD) hält sie weiterhin für eine „unverzichtbare, geniale kriminaltechnische Methode“. Anders dagegen Stefan König vom Deutschen Anwaltsverein: „Ich könnte spontan eine Reihe von Fällen aufzählen, in denen ein Verdächtiger vorschnell verurteilt worden ist – aufgrund von DNA-Spuren“.

Und der Kriminologe Thomas Feltes hält die Aussagekraft von genetischen Fingerabdrücken ohnehin für „maßlos überschätzt“ und fordert ein „Ende dieser Hörigkeit“. Im übrigen darf sich schon jetzt nicht ein Gerichtsurteil allein auf die DNS stützen, so der Bundesgerichtshof.

Und wie beurteilen Praktiker den DNA-Test?

Auch eher skeptisch. Eva Schicht, Leiterin des Erkennungsdienstes im bayerischen Landeskriminalamt sagte „sz-online“: „Wenn wir einen Treffer in der DNS-Datenbank haben, haben wir einen Treffer, aber noch keinen Täter. Wir dürfen die DNA-Analyse nicht mystifizieren. Sie ist kein Allheilmittel. Die Gefahr, dass die genetischen Spuren verunreinigt werden, ist ungeheuer groß.“

Wie lassen sich solche Pannen künftig vermeiden?

Die Hersteller des Zubehörs für die DNA-Proben sollten den Packungen die genetischen Fingerabdrücke der beteiligten Mitarbeiter als Code beilegen, fordert Bernd Schuster vom Bund Deutscher Kriminalbeamter. Dann könnten diese Spuren gleich ausgeschlossen werden.

Auch der Münchner Experte für DNA-Spurenuntersuchungen, Burkhard Rolf schlägt eine Vergleichsdatenbank aller Mitarbeiter solcher Wattestäbchen-Fabriken vor: „Viele Polizeilaboranten haben ihr eigenes DNA-Profil auf dem Schreibtisch parat, ich persönlich auch.“

Michael Heinrich

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