Korallenriffe sterben: Forscher fordern rasches Handeln
Auf der ganzen Welt sterben Korallenriffe – und mit ihnen komplette Ökosysteme. Ungefähr 30 Prozent der globalen Kolonien sind bereits so stark geschädigt, dass sie sich wahrscheinlich nicht erholen können, sagt Christian Wild. Weitere 50 Prozent sind stark gefährdet und nur 20 Prozent seien "vergleichsweise" in einem guten Zustand, sagt der Meeresbiologe und Vorsitzende der 15. Weltkorallenriffkonferenz (ICRS) der AZ. Fast alle der eigentlich kunterbunten Unterwasserwelten sind demnach bereits weltweit von Korallen-Bleichen betroffen.

"Das Massensterben der artenreichen Unterwasserlandschaften geschieht heimlich, still und leise, unbemerkt unter der Wasseroberfläche", sagt auch Philipp Kastinger von der Umweltschutzorganisation WWF der AZ. Ist es überhaupt noch aufhaltbar?
Für das Überleben der Menschheit sind die Meere von immenser Bedeutung
Meere befinden sich im "Notstand", wie UN-Generalsekretär António Guterres bei der zweiten Ozeankonferenz der Vereinten Nationen in Lissabon feststellte. Politiker, Forscher und Aktivisten versuchten dort in dieser Woche Lösungen zu finden. Zudem beschäftigt sich die ICRS, die vom 3. bis 8. Juli in Bremen stattfindet, mit Ansätzen zur Bewahrung der bedeutsamen Korallenriffe. Das aktuell hohe Augenmerk auf das Thema Weltmeere verdeutlicht insgesamt auch seine Brisanz.
Die Erde ist zu 70 Prozent mit Wasser bedeckt. Für das Überleben der Menschheit sind die Meere von immenser Bedeutung – "sie sind das Herz unseres Planeten", erklärt Kastinger: Sie produzieren nicht nur Sauerstoff "für jeden zweiten Atemzug", sondern sind auch Quelle für Nahrung, Rohstoffe und Energie. Zudem seien sie die größte CO2-Senke, die es gebe.
"Korallen sind unser Frühwarnsystem für den globalen Klimawandel"
Gleichzeitig leiden die Meere unter der Klimaerwärmung. Das Treibhausgas Kohlendioxid heizt nicht nur Atmosphäre und Meerwasser auf, es lässt die Ozeane versauern. Steigt die Wassertemperatur also über 29 Grad oder mehr, setze die Korallen-Bleiche ein, erklärt Wild. Durch die Versauerung und die Erwärmung befinden sich Korallen also unter doppeltem Stress. Dann verlieren sie ihre Symbionten – winzige Mikroalgen, die von den Nesseltieren zur Energiegewinnung benötigt werden –, so Kanstinger.

Die Folge: Die Korallen sind geschwächt und werden bleich. "Dann wachsen sie kaum mehr und bilden keine Riffstrukturen mehr aus." Hält dieser Zustand an, sterben sie. "Korallen sind quasi unser Frühwarnsystem für den globalen Klimawandel und dieses warnt uns gerade sehr laut", mahnt Wild.
Korallen sind Hotspots der Biodiversität
Weiterhin bedroht werden die Organismen durch Vermüllung, Überdüngung sowie Überfischung. Klima-, Biodiversitäts- und Verschmutzungskrise gingen miteinander einher – Korallen stünden exemplarisch dafür, so Wild.
Tropische Riffe bedecken zwar nur 0,2 Prozent des Meeresbodens, sagt der Professor für Marine Ökologie der Universität Bremen weiter. Doch als Hotspots der Biodiversität seien sie gar artenreicher als Regenwälder. "25 Prozent aller Arten im Meer kommen in Korallenriffen vor", so der gebürtige Münchner weiter. WWF-Sprecher Kanstinger erklärt zudem: Die Ökosysteme dienen als Kinderstube für verschiedenste Tierarten und sind Jagdrevier von Fischen und Säugetieren. Diese wiederum seien wichtige Nahrungsgrundlage für Millionen von Menschen.

Korallenriffe bilden zudem natürliche Barrieren und schützen die Küsten, etwa gegen Sturmfluten. Sie stellen im Tourismus eine wichtige Einnahmequelle dar. "Wir schätzen, dass über eine Milliarde Menschen direkt oder indirekt von den Funktionen dieser Riffe profitieren", sagt Wild.
So könnten Korallen teils gerettet werden
Das Ausmaß dieser Katastrophe des Korallensterbens sei enorm und werde noch weitreichende Folgen für Mensch und Planet haben, sagt Kanstinger. "Das weltumspannende Ökosystem, das für uns überlebenswichtig ist, brennt gerade lichterloh." Selbst, wenn es gelinge, den menschengemachten, globalen Temperaturanstieg durch den Treibhauseffekt auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, würden Riffe weiterhin sterben. Doch gebe es Optionen, diese immerhin teils zu retten.
Wie kann dies gelingen? Bis ins Jahr 2030 müssten 30 Prozent der Meeresoberfläche geschützt sein, fordert der WWF, damit sich die Riffe erholen könnten. Weiterhin müsse gezieltes Monitoring mit gut überwachter Fischerei betrieben und die Überdüngung der Küstengewässer durch zu intensive Landwirtschaft und fehlende städtische Kläranlagen gestoppt werden.
"Wir müssen den Klimawandel aggressiver bekämpfen und versuchen, die Emissionen von Treibhausgasen zu reduzieren", sagt auch Wild. Zweitens müssten die Riffe gestärkt werden, indem regionale Faktoren, wie Überdüngung oder Überfischung, reduziert werden. Und drittens müsse mit Hilfe von innovativen Unterstützungsmaßnahmen Zeit gewonnen werden, "bis wir den Klimawandel in den Griff bekommen".