"Kinder und Frauen zuerst" funktioniert nur beim langsamen Sinken
FRANKFURT - Als die "Lusitania" 1915 sank, überlebten in den Rettungsbooten vor allem junge und starke Menschen. Beim Untergang der "Titanic" 1912 waren es vor allem Frauen und Kinder. Der Unterschied: Die Lusitania sank blitzschnell. Da war keine Zeit für soziales Verhalten.
Der Untergang der “Titanic” gibt Aufschluss über das menschliche Sozialverhalten. Wie der Vergleich zweier ähnlicher Schiffstragödien im frühen 20. Jahrhundert zeigt, überwiegen bei Menschen in Extremsituationen unter starkem Zeitdruck die egoistischen Überlebensinstinkte. Soziale Normen wie etwa Rücksicht setzten sich dagegen eher dann durch, wenn Zeit zum Abwägen bleibt - so das Resultat einer Schweizer Studie.
Beide Katastrophen gingen in die Annalen der Seefahrt ein: Am 14. April 1912 sank die “Titanic” bei ihrer Jungfernfahrt im Nordatlantik nach der Kollision mit einem Eisberg. Dabei starben rund 1.500 Menschen. Drei Jahre später versenkte während des Ersten Weltkriegs ein deutsches U-Boot ebenfalls im Nordatlantik das britische Passagierschiff “Lusitania”. Knapp 1.200 Personen kamen ums Leben. Beide Tragödien teilen neben der geografischen und zeitlichen Nähe etliche Parallelen: Die Rettungsboote auf der “Titanic” und der “Lusitania” boten nicht genügend Platz für alle Menschen, und der Anteil von Männern, Frauen und Kindern war auf beiden Luxusdampfern fast identisch.
Frauen und Kinder nicht immer zuerst
Auffällig unterschiedlich war dagegen die Zusammensetzung der Überlebenden - obwohl beide Kapitäne die Losung ausgaben, Kinder und Frauen zuerst in die Boote zu lassen. An diese Vorgabe hielt man sich offenbar nur auf der “Titanic”. Auf der “Lusitania” retteten sich dagegen auffällig viele junge Männer und Frauen.
Diese Besonderheit führt der Wirtschaftsforscher Bruno Frey von der Universität Zürich im Fachblatt “PNAS” auf einen weiteren Unterschied beider Katastrophen zurück: Die “Lusitania” sank rapide und war schon nach 18 Minuten unter der Meeresoberfläche verschwunden. Angesichts des extremen Zeitdrucks suchten die Menschen an Bord ihr Heil in panischer Flucht. Bei diesem Kampf ums Überleben retteten sich eher die stärksten Personen im Alter von 16 bis 35 Jahren.
Der Untergang der “Titanic” zog sich dagegen über zwei Stunden und 40 Minuten hin. Hier blieb den Menschen Zeit zum Abwägen. Dabei setzte sich die Rücksicht auf schwächere Mitglieder der Gemeinschaft gegen den egoistischen Überlebensinstinkt eher durch.
(apn)
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