Katholiken lassen Kirche rechts liegen

In vielen deutschen Städten wenden sich Katholiken von der Kirche ab. Während der Vatikan den einst als Ketzer verfolgten Galileo Galilei erstmals mit einer Messe ehrte, erneuerte der Mainzer Bischof Karl Lehmann seine Vatikan-Kritik.
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Umgeben von rauem Wind: Papst Benedikt XVI.
dpa Umgeben von rauem Wind: Papst Benedikt XVI.

In vielen deutschen Städten wenden sich Katholiken von der Kirche ab. Während der Vatikan den einst als Ketzer verfolgten Galileo Galilei erstmals mit einer Messe ehrte, erneuerte der Mainzer Bischof Karl Lehmann seine Vatikan-Kritik.

Der Mainzer Bischof Karl Lehmann hat die Geduld des Vatikans mit dem britischen Holocaust-Leugner Richard Williamson kritisiert. Der Kardinal und frühere Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz sagte am Sonntag im Deutschlandfunk, es sei «im Grunde fast lächerlich», dass der britische Bischof eine Bedenkzeit bis Ende des Monats erhalte.

Die Zahl der Kirchenaustritte stieg laut «Focus» in vielen Städten an. Zugleich nahm Lehmann Papst Benedikt XVI. in der Williamson-Affäre erneut in Schutz. Der Philosoph Robert Spaemann sieht das aus Deutschland stammende Kirchenoberhaupt als Opfer einer Medienkampagne. Lehmann sagte, eine Frist von drei Tagen hätte gereicht, um Williamson den Widerruf zu ermöglichen. Danach hätten «Maßnahmen ergriffen» werden müssen. Auch liberale Kirchenvertreter verstünden nicht, dass die Führung «so Katz und Maus mit sich spielen lässt». Er müsse sich jetzt von vielen sagen lassen: «Wie kann man sich jetzt einen Termin von den Pius-Brüdern stellen lassen, dass er bis zum 28. Februar weiß, ob der Holocaust stattgefunden hat, oder nicht.» Damit lasse die Kirche ihre eigene Autorität strapazieren. Lehmann fügte hinzu: «Und deswegen muss das irgendwie auch danach zu Ende gehen.» Der Papst selbst könne aber nichts dafür.

Nichts zurückgenommen

Der Brite gehört zu vier Bischöfen der fundamentalistischen Pius-Bruderschaft, deren Exkommunikation Papst Benedikt XVI. erst kürzlich aufgehoben und damit den Weg für eine Wiedereingliederung der 1970 vom verstorbenen Erzbischof Marcel Lefebvre gegründeten Bewegung in die katholische Kirche frei gemacht hat. Dies hatte zu einem Proteststurm sowohl in der jüdischen Gemeinschaft als auch in der katholischen Kirche selbst geführt. Der Vatikan erklärte später, der Papst habe Williamsons Aussagen nicht gekannt und stoppte zunächst die weitere Annäherung an die 1988 abgespaltene Bruderschaft. Der umstrittene Kleriker hat seine Äußerungen nicht zurückgenommen. Lehmann unterstrich, er erwarte von der Pius-Bruderschaft, dass sie sich ohne Wenn und Aber zu den Beschlüssen des Zweiten Vatikanischen Konzils bekennt. Sollte der Papst aber auf seine Versöhnungsgeste hin «nur höhnische Antworten» bekommen, dann sei «eigentlich die Entscheidung schon gefallen».

Viele Kirchenaustritte

Der Philosoph Robert Spaemann sagte, der Papst wolle in die Geschichte als Überwinder von Spaltungen eingehen. In der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» erklärte er, dabei sei ihm eine «beispiellose Medienkampagne in der Quere gekommen», der zufolge er Traditionalisten umarme. Im Verhältnis zur Pius-Bruderschaft habe er «eine große Vorleistung erbracht», indem er habe verhindern wollen, dass die Pius-Bruderschaft weiter ins Abseits drifte und eine Gegenkirche entstehe. Nach der umstrittenen Papst-Entscheidung zur Pius-Bruderschaft verzeichnen viele Städte deutlich höhere Kirchenaustritte. Im Standesamt Stuttgart-Mitte kehrten laut «Focus» binnen vierzehn Tagen 67 Gläubige ihrer Kirche den Rücken, im Jahr zuvor waren es im selben Zeitraum 24 gewesen. In Regensburg registrierte das Standesamt seit der Wiederaufnahme der Pius-Brüder 79 statt 34 Austritte. In Paderborn meldet das Amtsgericht eine «ungewöhnlich hohe Zahl» von Austritten, nämlich 90 statt der sonst durchschnittlich 50 Anträge im Monat, wie das Magazin weiter schrieb. Beim Amtsgericht Münster erklärten seit Jahresbeginn 191 Menschen ihren Abschied von der Kirche. Im Vorjahr waren es 96. Den dortigen Gerichtssprecher Benedikt Vieth zitierte das Magazin mit den Worten, seine Mitarbeiter seien derzeit fast nur noch mit Austritten beschäftigt.

Zentralkomitee der deutschen Katholiken frustriert

Großen Frust bei engagierten Christen spürt dem Bericht zufolge auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, in dem die aktiven Laien organisiert sind. «Etwa die Hälfte derer, die uns derzeit kontaktieren sagt, 'das Fass ist zum Überlaufen voll'», zitierte das Magazin Sprecher Theodor Bolzenius.

Der Vatikan hat indes am Sonntag den einst als Ketzer verfolgten Physiker Galileo Galilei in Rom erstmals mit einer feierlichen Messe geehrt. Vor zahlreichen Vertretern der Wissenschaftsorganisation «World Federation of Scientists» zelebrierte der Präsident des Päpstlichen Kulturrates, Gianfranco Ravasi, die Messfeier in der Basilika «Santa Maria degli Angeli», berichteten italienische Medien. Es handelt sich dabei - rund vier Jahrhunderte nach Galileos bahnbrechenden astronomischen Entdeckungen - anlässlich seines 445. Geburtstages um die erste Heilige Messe ihm zu Ehren. (AP/epd/dpa/nz)

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