Kampf um die Schreibschrift

Cornelia Funke kommt bei dem Thema ins Schwärmen: „Wenn es die Schreibschrift noch nicht gäbe, müsste man sie erfinden“, sagt die Autorin der Jugendbuch-Klassiker „Tintenherz“ und „Die Wilden Hühner“. Sie glaube „ganz fest daran, dass die Schreibschrift für Kinder und Jugendliche ein wunderbares Mittel ist, um sich selbst zu entdecken“.
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Zugleich fordere das Computerzeitalter Tribut: „Wenn ich in Amerika Bücher signiere, fragen die Kinder oft, was ich da für Zeichen verwende.“ Schnörkelige Tradition gegen stromlinienförmige Moderne: Die von Funke verehrte geschwungene Handschrift auf der einen Seite, nüchterne Druckbuchstaben auf der anderen – was sollen Kinder in der Grundschule lernen?
Spätestens seit das in Pisa-Tests so erfolgreiche und daher zum großen Bildungs-Vorbild aufgestiegene Finnland den Übergang zu einer vereinfachten Schrift ab Herbst 2016 ankündigte, ist die Diskussion auch in Deutschland neu eröffnet. Zumal Finnland seine Reform ganz unverblümt mit den Zwängen der Digitalisierung begründet: „Das flüssige Tippen auf einer Tastatur ist eine nationale Fähigkeit“, erklärt Expertin Minna Harmanen.
Zugunsten von Computer-Kompetenzen der Kinder soll also die verbundene Schreibschrift von finnischen Lehrplänen weichen. In Deutschland empfiehlt der Grundschulverband, Kindern im Unterricht „eine gut lesbare, leicht und flüssig schreibbare Schrift“ anzubieten – eine „Grundschrift“ aus Druckbuchstaben als Alternative zu den drei älteren „Ausgangsschriften“.
Dagegen propagiert der Verein „Allianz für die Handschrift“ das Ziel, ein „Kulturgut“ zu retten. Ein Streit mit teilweise schon weltanschaulichen Zügen. Die Kultusministerkonferenz (KMK) behilft sich mit einem Formelkompromiss: „Schülerinnen und Schüler lernen sowohl Druckschrift als auch eine verbundene Schrift und entwickeln ihre feinmotorischen Fertigkeiten.“
Bis zum Ende der Jahrgangsstufe 4 sollten sich die Kinder „eine individuelle, gut lesbare und flüssige Handschrift“ aneignen, heißt es in einer KMK-Empfehlung. Ein Trend zur neuen Grundschrift mit Druckbuchstaben lässt sich in mehreren Bundesländern feststellen. Aber selbst das oft als Vorreiter genannte Hamburg ist vorsichtig: „Die Grundschrift als einzige Schrift wird in der Regel bei Lerngruppen angewandt, die besonders schwierige soziale und Lernvoraussetzungen haben“, sagt ein Sprecher der Schulbehörde.
Auch die KMK-Chefin Brunhild Kurth (CDU) will für eine traditionelle Schrift kämpfen. Denn im Gegensatz zu Buchstaben auf einem Rechner könne man Handschriftliches „nicht einfach löschen, man muss gut überlegen, bevor man schreibt. Damit wird das strukturierte Denken gefördert.“ Eine Umfrage unter gut 2000 Lehrern in Deutschland lieferte kürzlich weitere Argumente für das herkömmliche Schreibhandwerk: Demnach haben die Hälfte der Jungen und ein Drittel der Mädchen Probleme, die gewünschte lesbare Handschrift zu entwickeln. Das Ergebnis: eine „Sauklaue“, die viele Lehrer kaum noch entziffern können.