Kaiserschnitt – oder nicht?

MÜNCHEN - Jedes dritte Kind wird in Deutschland mittlerweile mit dem Skalpell auf die Welt geholt. Viele Ärzte drängen Frauen förmlich zur Operation. Der Eingriff ist finanziell lukrativer als eine natürliche Geburt.
30. Woche, zweites Kind, alles bestens. „Und plötzlich meinten die Ärzte, ich sollte doch einen Kaiserschnitt in Erwägung ziehen“, sagt die 31-jährige Münchnerin. Namentlich genannt werden möchte sie lieber nicht. Schließlich steht sie jetzt kurz vor der Geburt, möchte niemanden in der Klinik verärgern. „Bei meinem ersten Kind hatte ich bereits einen Kaiserschnitt, jetzt meinten die Ärzte, es könnte bei der natürlichen Geburt Komplikationen geben.“ Doch einmal auf natürlichem Weg entbinden, das ist ihr großer Wunsch. „In Großhadern meinten die Ärzte dann, es sei möglich. Sie würden eine natürliche Geburt in allen möglichen Variationen auf jeden Fall versuchen.“
Laut Petra Kolip von der Pflegeforschung an der Universität Bremen ein typischer Fall: „60 Prozent der Frauen werden vom Arzt förmlich zum Kaiserschnitt überredet. Für die Kliniken ist das einfach“, sagt Kolip der AZ. Die Bettenbelegung lässt sich leicht planen. „Auch muss fürs Wochenende und abends nicht so viel Personal bereithalten.“
Und: Ein Kaiserschnitt ist lukrativer. Für eine normale, sich über Stunden hinziehende Geburt bekommt ein deutsches Krankenhaus durchschnittlich 1260 Euro, beim Kaiserschnitt sind es 2700 Euro – der dauert nur eine halbe Stunde.
„So nehmen Kaiserschnitt-Geburten in Deutschland rapide zu“, sagt Helga Albrecht, Präsidentin vom deutschen Hebammenverband. Mittlerweile wird jedes dritte Baby per Skalpell auf die Welt geholt. Damit liegt Deutschland weit vor Ländern wie Italien oder Frankreich. Laut der Weltgesundheitsorganisation gibt es aber nur bei jeder zehnten Geburt medizinische Gründe für die Schnittentbindung „90 Prozent aller Mütter könnten eine normale Geburt erleben. Für die Kliniken ist das aber schlichtweg nicht profitabel“, sagt Albrecht.
Angst vor der natürlichen Geburt
Die Gründe der Ärzte für den Kaiserschnitt sind zahlreich – von unvorhergesehenen Komplikationen bei der Geburt reichen sie über Schmerzfreiheit bis zur besseren Planbarkeit für die Geschäftsreise des Vaters. „Die Frauen werden gedrängt. Es ist ein Gerücht, dass die Nachfrage zum Kaiserschnitt steigt“, sagt Kolip. Ihre Nachforschungen ergaben: Nur zwei Prozent der deutschen Frauen fordern einen Kaiserschnitt von selbst.
„In einigen Kliniken gibt es schon jetzt mehr Kaiserschnitte als natürliche Geburten“, sagt Albrecht. Nicht nur die Bezahlung verführt die Ärzte. Viele haben schlichtweg Angst vor der natürlichen Geburt. „Besonders die junge Ärzte-Generation hat Respekt vor den Naturgewalten einer Geburt“, meint Albrecht. Hohe Schadensersatz-Klagen durch unerwartete Komplikationen haben den Trend zum Kaiserschnitt förmlich angefacht. „Er wird häufig als leichtester Weg angepriesen“, sagt Albrecht.
Dabei ist auch ein Kaiserschnitt trotz moderner Medizin kein sanfter Eingriff – und nicht zu unterschätzen. „Nachblutungen, Verwachsungen oder Infektionen werden beim Kaiserschnitt schnell in den Hintergrund geschoben", sagt Albrecht.
„Dass es Komplikationen bei einer Spontangeburt gibt, ist genauso wahrscheinlich wie bei einem Kaiserschnitt“, sagt auch der Münchner Gynäkologe Klaus Friese. „Selbst wenn eine Frau schon einen Kaiserschnitt hatte, liegt die Gefahr, dass die alte Narbe aufreißen könnte unter drei Prozent.“
Anne Kathrin Koophamel