Joanne K. Rowling schreibt Roman für Erwachsene

Eigentlich hat sie alles erreicht, was eine Schriftstellerin erreichen kann – 450 Millionen verkaufte, in 72 Sprachen übersetzte Bücher. Eigentlich hat sie ausgesorgt - mit geschätzten 700 Millionen Euro Vermögen. Eigentlich könnte ihr Leben ausgefüllt sein – mit einem Ehemann und drei Kindern. Doch Joanne K. Rowling will es noch einmal wissen: Die Autorin der phänomenal erfolgreichen Harry-Potter-Reihe hat noch einmal ein Buchgeschrieben, das morgen erscheint. Einen Roman für Erwachsene. Eine Geschichte, die nicht in einer Phantasiewelt spielt. Trotz des Titels „Ein plötzlicher Todesfall“ ist es auch kein Krimi. Und der Plot erzählt auch ein bisschen von ihren eigenen – früheren – Lebensumständen.
Denn die sind es, die ganz wesentlich zum Faszinosum der attraktiven 47-jährigen Engländerin beitragen. Rowling wird am 31. Juli 1965 in der Kleinstadt Chipping Sodbury nahe Bristol geboren. Sie wächst wohl behütet auf, liest schon – von ihrer Mutter gefördert – als Kind sehr gerne und hat früh den Wunsch, Schriftstellerin zu werden. Zunächst erfindet sie Geschichten, die sie ihrer kleinen Schwester erzählt. Die erste soll, so wird gerne kolportiert, von einem an Masern erkrankten Kaninchen gehandelt haben. Joanne besucht mit Erfolg – vor allem in den sprachlichen Fächern – ein Gymnasium, schreibt immer wieder Texte. Der Weg in ihren Traumberuf scheint geebnet.
Sie bewahrt sich ihre Träume
Doch dann kommt es ganz anders. Das Verhältnis zum Vater war immer schwieriger geworden. Als dann ihre Mutter 1990 an Mulitpler Sklerose stirbt, kommt der Bruch. Die Französisch-Studentin wandert nach Portugal aus, schlägt sich als Sprachlehrerin durch. Dort lernt sie ihren ersten Mann kennen. Doch die Ehe geht gründlich schief und schon nach drei Jahren auseinander. Mit ihrer vier Monate alten Tochter Jessica zieht die damals noch rothaarige Rowling aus dem sonnigen Portugal ins häufig neblige Edinburgh in Schottland. Joanne ist arbeitslos, lebt in einer winzigen Wohnung und bekommt Sozialhilfe. Doch ihre Träume hat sie sich bewahrt.
Sie denkt sich immer wieder neue Geschichten aus. Und besinnt sich einer Idee, die sie schon Jahre zuvor auf einer Zugfahrt gehabt hatte: Die Idee von Harry Potter. Rowling: „Ich saß im Zug von Manchester nach London – ohne einen Gedanken ans Schreiben zu verschwenden. Und aus dem Nichts kam mir plötzlich die Idee, ich hatte diesen dürren kleinen Harry ganz deutlich vor Augen und der Gedanke ging mir durch Mark und Bein. Ein so bewegendes Gefühl hatte ich nie zuvor erlebt, wenn es um das Schreiben ging. Es war das erste Mal, dass mich eine Idee innerlich so aufgewühlt hat. Dann kramte ich in meiner Tasche nach einem Bleistift oder Kuli, aber ich hatte noch nicht einmal einen Kosmetik-Stift dabei. So konnte ich nur dasitzen und nachdenken. Während der vier Stunden, die ich in dem verspäteten Zug verbrachte, sprudelten mir alle diese Ideen nur so im Kopf herum.“
Potter-Startauflage nur 500 Exemplare
Schon im Portugal, intensiver dann in Schottland macht sie sich an den ersten Band „Harry Potter und der Stein der Weisen“. 1995 vollendet sie ihn, bekommt aber immer wieder Absagen von den Verlagen, denen das Buch angeboten wurde. Erst am 26. Juni 1997 wird der Band eins veröffentlicht – mit einer Startauflage von gerade einmal 500 Exemplaren. Von da an geht es Schlag auf Schlag. Allein bis 2001 erscheinen vier Bände. Sie werden in 200 Ländern 116 Millionen Mal verkauft. Monatelang stehen die vier Bände auf den ersten vier Plätzen der Spiegel-Bestseller- Liste. Doch schon da denkt Joanne K. Rowling an ein Ende der Zauberer-Abenteuer: Sie plant insgesamt nicht mehr als sieben Bände, die Geschichte soll mit Harrys Schulzeit enden. Doch der Hype endet nicht, als 2007 der letzte Band „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“ auf den Markt kommt. Im Gegenteil.
Harry Potter wird auch auf den Kinoleinwänden der Erde ein voller Erfolg. Das begleitende Merchandising – bis hin zu Potter-Freizeitparks – schwemmt Millionen in Rowlings Kassen. Lediglich Michael Jacksons Plan, ein Potter- Musical zu schreiben, wird nicht umgesetzt. Rowling ist auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, sie ist die erfolgreichste Schriftstellerin aller Zeiten.
Doch Ruhm und Geld bedeuten der 47-Jährigen, die seit zehn Jahren mit einem selbst erfolgreichen Anästhesisten verheiratet ist, nicht alles. Dem „Spiegel“ sagt Rowling: „Das Schönste ist, wie es mir neulich passierte, wenn eine 21-Jährige auf mich zukommt und sagt: ,Sie waren meine Kindheit. Darf ich Sie umarmen?’“ Von der Sozialhilfeempfängerin zur Multi-Millionärin, das hat natürlich, gesteht Rowling ein, Spuren hinterlassen. Natürlich sei sie zutiefst dankbar, für das, was ihr passiert ist, sagt sie auf die Frage, was das Schwierige an ihrer weltweiten Popularität ist. Und: „Das Schwierigste war die Überforderung durch den plötzlichen Ruhm. Darauf war ich nicht vorbereitet. Es war wirklich ein Schock. Heute kann ich damit umgehen, weil ich eine Menge Unterstützung habe.“ Doch Rowling unterstützt selbst auch andere.
Soziales und politisches Engagement
In den vergangenen Jahren soll sie allein 120 Millionen Euro für verschiedene soziale Zwecke gespendet haben. Eine von ihr ins Leben gerufene wohltätige Stiftung sammelt zusätzliches Geld. Daneben ist Rowling Präsidentin der schottischen Multiple- Sklerose-Gesellschaft. Sie stiftete mehrfach große Summen zur Erforschung und Heilung dieser Krankheit, an der ihre Mutter starb. Für ihr Engagement erhielt sie den Ehrendoktortitel der Universität Aberdeen. Und auch politisch schlägt sich die superreiche Schriftstellerin auf die Seite der Bedürftigen. Mehrfach geißelte sie öffentlich die Sozialpolitik des konservativen britischen Premierministers David Cameron. Die Spannungen in der Gesellschaft, die Gegensätze zwischen Arm und Reich, der Konflikt zwischen Kindern und Eltern, zwischen Frauen und Männern, zwischen Schülern und Lehrern sind auch Themen in „Ein plötzlicher Todesfall“ –nach ihren eigenen Worten eine politische Parabel.
Hat die das Zeug zu einem weiterenWelterfolg aus der Feder Rowlings? Ab Donnerstag werden wir es sehen. Einer der ihr alles zutraut ist der deutsche Schriftsteller Uwe Tellkamp („Der Turm“). Rowlings Werk sei aus seiner Sicht „die erste unzweifelhaft bleibende literarische Leistung unserer Zeit“. Sie sei des Nobelpreises würdig. Der ist das Einzige, was Joanne K. Rowling als Schriftstellerin noch nicht erreicht hat.
Der Muff der Mittelschicht
„Barry Fairbrother wäre lieber zu Hause geblieben.“ Mit diesem lapidaren Satz beginnt der neue Roman von Joanne K. Rowling „Ein plötzlicher Todesfall“. Doch schon auf der dritten Seite stirbt der Held der Geschichte – ausgerechnet an seinem Hochzeitstag. Dass der 40-Jährige in dem kleinen Städtchen Pagford Gemeinderat war und um seine Nachfolge jetzt Intrigen und Streit entbrennen, nutzt die Autorin zu einem Gesellschaftsporträt einer typischen englischen Kleinstadt. Fairbrother war ein Aussteiger, stammt aus einer benachbarten Sozialsiedlung – eine Situation die Rowling ähnlich durchgemacht hat. Es geht um eine erfolgreiche indische Arztfamilie, um einen scheinbar angesehenen Familienvater, der heimlich Frau und Kinder schlägt, wie eine Spiegel-Redakteurin schreibt, die schon im Manuskript blättern durfte, „um einen politischen Wortführer, der so mächtig wie fett ist, und von vier Teenagern, die aufbegehren gegen den Muff einer allzu selbstzufriedenen Mittelschichtswelt“. Rowling hat, nach ihren eigenen Worten, eine auch politische Parabel über die Scheinheiligkeit der Mittelschicht geschrieben. Zauberer kommen im Roman garantiert nicht vor.
Wo es das Buch gibt
Nein, Mitternachtsöffnungen und Zauberer-Partys wie zum Verkaufsstart der Harry-Potter-Bücher, wird es für das neue Buch von Joanne K. Rowling „Ein plötzlicher Todesfall“ (600 Seiten, 24,90 , als e-Book 19,99 ) am morgigen Donnerstag nicht geben. Dazu ist das Zielpublikum nicht das Richtige. Ein Sprecher von Hugendubel, dessen Münchner Filialen um 9.30 Uhr öffnen, kündigt an, dass das Werk „an besonderen Stellen“ in großen Stapeln „aufmerksamkeitswirksam“ präsentiert werden wird. Ähnliches machen andere Münchner Buchläden. Auch wer den Rowling-Roman (Startauflage in Deutschland: 500000 Exemplare) online bestellt, wird kaum früher an ein Exemplar kommen – weil die Paketdienste nicht eher ausliefern.