In der World Wide Gruft
Auf dutzenden Internetplattformen schaufeln Millionen Deutsche ihren Angehörigen, Freunden und Idolen virtuelle Gräber. Was hinter der neuen Trauer per Mausklick steckt.
Sterne funkeln, Kerzen flackern, eine Friedenstaube schlägt mit den Flügeln, Delfine plantschen und dann scheint auch noch der Mond: Natürlich ist das Bild irgendwie kitschig, das die Angehörigen für die verstorbene Elisabeth H. gestaltet und ins Internet gestellt haben. Und trotzdem berührt es. Denn dass es hier um einen Menschen geht, der geliebt und vermisst wird, dürfte selbst dem größten Berufszyniker klar werden. „In stiller Liebe und Dankbarkeit“, hat „Stefanie“ geschrieben, und auch „Onkel Hans“, „Tante Hilde“ und „Andy“ kondolieren. Die Szene spielt sich auf www.strassederbesten.ab, einem von dutzenden Internet-Friedhöfen.
Die ersten Projekte dieser Art gab es bereits Anfang der 90er Jahre. Inzwischen ist aber ein Massenphänomen daraus geworden. Glaubt man den Angaben der Betreiber, haben in Deutschland bereits über drei Millionen Menschen neben ihrem realen auch ein virtuelles Grab, darunter sehr viele Münchner.
920 Menschen besuchten bereits den Cyber-Gnadenacker von Elisabeth H., wahrscheinlich nicht nur Angehörige, sondern auch Außenstehende, die auf der Seite stöbern und zufällig auf eine Person stoßen. Wer sich angesprochen fühlt, kann per Mausklick eine Kerze anzünden.
Auf geh-den-weg.de ertönt feierliche Orgelmusik aus den Lautsprechern, sobald man auf die Startseite surft. Wer auf „Gräber ansehen“ klickt, bekommt eine schier endlose Reihe von Grabsteinen präsentiert, die mit Namen versehen sind. Dahinter: ein Leben, das anhand von Erinnerungen, Fotos und Musik erzählt wird, so gut es eben geht. Beim Eintrag von Josef H. steht: „Mein geliebter Vater hat mich genau am 24.12.2009 verlassen, nach 8 Monaten Kampf gegen den Krebs hast du leider verloren. Ich werde dich nie vergessen. Deine Tochter Jacqueline.“
Online-Gräber für Monti Lüftner, Barbara Rudnik und Rudolph Moshammer
„Wenn das Leben zunehmend in den virtuellen Raum verschoben wird, wundert es kaum, wenn dies auch mit dem Tod geschieht“, sagt Thomas Knieper, Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Technischen Universität Braunschweig. „Fernab moralisierter Kulturtechniken lässt sich so auf eine mehr oder weniger persönliche Art vergleichsweise unkompliziert einem Menschen gedenken. Und die Grabpflege hat sich erledigt.“
Moralisch be- oder verurteilen möchte er die Entwicklung nicht. Die Seiten seien aber auf jeden Fall von unterschiedlicher Qualität. „Zumindest gibt es hin und wieder die Chance, dass man mit seiner Trauerarbeit nicht alleine gelassen wird. So verweist Internet-Friedhof.de zum Beispiel auf die Nummern der Telefonseelsorge“, so Knieper.
Nicht nur für Angehörige und Freunde, sondern auch für VIPs werden derzeit immer mehr Online-Gräber geschaufelt: Tausende Fans, die nicht zu Patrick Swayze nach New Mexiko reisen können oder wollen, lassen ihm in der World Wide Gruft letzte Nachrichten zukommen: „Danke, dass es dich gab.“ Auch die Münchner Monti Lüftner, Barbara Rudnik und Rudolph Moshammer haben längst ein eigenes Mausklick-Mausoleum.
Die meisten Seiten sind kostenlos, finanzieren sich durch Werbeanzeigen für Ökostrom oder Sterbegeldversicherungen. Auch ein Blumenhändler bietet seine Dienste an. Wahrscheinlich für den Fall, dass man doch mal wieder beim realen Grab vorbeischauen möchte.
Timo Lokoschat
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