Immer bedrohlicher: Der Monsterkeim
Deutsche Ärzte sind beunruhigt: Binnen eines Tages hat sich die Zahl der EHEC-Infizierten bundesweit von 1500 auf 2000 erhöht. Hinzu kommt: Der jüngste EHEC-Ausbruch ist aggressiver denn je.
Berlin - Den Grund dafür haben Wissenschaftler nun möglicherweise gefunden. Deutsche und chinesische Experten haben das Erbgut des grassierenden EHEC-Bakteriums entziffert - und einen noch nie zuvor entdeckten Stamm des Darmbakteriums Escherichia coli ausgemacht. Erste Gen-Analysen haben ergeben: Der ungewöhnlich gefährliche neue Stamm ist eine mutierte Form aus zwei Escherichia-coli-Bakterien. Die Kreuzung kombiniere „zahlreiche Charakteristiken, die dazu führen, dass es ansteckender ist und mehr Gifte produziert“, so Hilde Kruse, WHO-Expertin für Lebensmittelsicherheit.
Inzwischen hat der aggressive Keim in Deutschland 17 Tote gefordert, 15 davon waren Frauen. Der Verlauf der aktuellen EHEC-Seuche bereitet selbst erfahrenen Ärzten Sorgen. Zu den gängigen Symptomen – heftige Bauchkrämpfe, blutiger Durchfall, hohes Fieber – kommt nun eine ganze Reihe schwerer nervlicher Störungen. „Wir beobachten unerwartete Krankheitsverläufe, die wir bisher nicht kannten“, sagt Hendrik Lehnert vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Dort haben etwa die Hälfte aller Patienten, die an einer schweren EHEC-Komplikation – dem hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) – leiden, zusätzlich neurologische Ausfallerscheinungen.
Das bedeutet: Drei bis vier Tage nach Auftreten des lebensgefährlichen HU-Syndroms, das mit Blutarmut, Zerfall der roten Blukörperchen und Nierenversagen einhergeht, können zusätzlich Hirnstörungen folgen. Kopfschmerzen sind die harmloseste Variante. Wen es ganz schlimm trifft, der leidet unter Sprachstörungen, Epilepsien und Gedächtnisverlust.
Betroffen von der gefährlichen Seuche sind weiterhin vor allem Menschen in Norddeutschland. Niedersachsen meldete am Mittwoch 344 Verdachtsfälle – 80 mehr als am Tag zuvor. In Hamburg kletterte die Zahl der Erkrankten oder Verdachtsfälle am selben Tag um 119 auf 668. Ein großer Teil der bundesweit rund 500 Patienten, die an dem gefährlichen HU-Syndrom leiden, liegt im Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf.
Zahl der Fälle in Bayern verdreifacht
Auch in Bayern ist die Zahl der EHEC-Fälle innerhalb weniger Tage stark angestiegen. Nach Angaben des Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) haben sich bisher 59 Menschen mit dem Darmkeim infiziert. 16 Patienten leiden unter HUS.
Hilfe für die Erkrankten? Gibt es nicht immer. Vielen Patienten wird versucht, mit einer Plasmapherese – einer spezielle Art der Blutwäsche – zu helfen. Die hilft aber nicht jedem. Hinzu kommt die Sorge, dass während der Urlaubszeit die Vorräte an Blutkonserven und Plasma knapp werden könnten. Vorsorglich haben die ersten Krankenkassen daher bereits zum Blutspenden aufgerufen, auch Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hat bereits gespendet.
Hoffnung wird nun auch in einen neuen Antikörper gesetzt. Seine Anwendung wird momentan an verschiedenen deutschen Kliniken getestet. Problem dabei: Mögliche Nebenwirkungen sind noch nicht bekannt. Hermann Haller von der Medizinischen Hochschule Hannover: „Es nützt etwas, aber es ist kein Wundermittel“.