„Ich habe ein zweites Leben geschenkt bekommen“

Die Münchner Ärztin Petra Birkenfeld war eine von 135 Passagieren in dem verunglücktem ICE. Die 47-Jährige hatte Todesangst . In der AZ erzählt sie, wie sie den Crash erlebte.
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Der Triebwagen schrammte an der Tunnelwand entlang.
ap 2 Der Triebwagen schrammte an der Tunnelwand entlang.
Erschöpft, aber froh: Petra Birkenfeld
Petra Schramek 2 Erschöpft, aber froh: Petra Birkenfeld

Die Münchner Ärztin Petra Birkenfeld war eine von 135 Passagieren in dem verunglücktem ICE. Die 47-Jährige hatte Todesangst . In der AZ erzählt sie, wie sie den Crash erlebte.

Fünf Schafe haben überlebt. Jetzt glotzen sie Petra Birkenfeld im dunklen Tunnel an. Der Rest ihrer Herde ist tot, blutiges Fleisch liegt auf dem Schotter. Der Anblick hinterlässt bei Petra Birkenfeld eine Ahnung,was auch ihr hätte passieren können: „Es ist ein Wunder, dass wir leben“, sagt die Münchnerin.

Am Samstagabend um 21.05 Uhr entgleist der ICE 885 Hamburg- München bei über 200 km/h im elf Kilometer langen Landrückentunnel bei Mittelkalbach zwischen Fulda und Würzburg. 500 Meter nach der Einfahrt in den längsten Tunnel Deutschlands rast die Lok in eine Schafherde. „Die Fahrgäste hatten unglaubliches Glück, dass es in einem Tunnel passiert ist“, sagt Bundespolizei- Sprecher Reza Ahmari. „Die Wände haben Schlimmeres verhindert.“ Auf freier Strecke hätten sich die entgleisten Wagen quergestellt und ineinander verkeilt – wie beim Unglück 1998 in Eschede. „Dann hätte es Tote gegeben.“

Ein Wunder

Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn ein Zug in Gegenrichtung auf die Schafe geprallt wäre: Kurz nach dem Tunnelausgang ist eine Bahnbrücke – dort hätte der entgleiste Zug keinen Halt gefunden und wäre in die Tiefe gestürzt. Es ist also wirklich ein Wunder, dass nur vier von 135 Fahrgästen mit Platzwunden und Knochenbrüchen ins Krankenhaus kamen. 15 wurden leicht verletzt.

Radiologin Petra Birkenfeld sitzt kurz vor dem Knall in der Mitte eines Waggons der zweiten Klasse. Die Ärztin war in Hamburg auf einem Kongress und will zurück nach München. Die 47-Jährige liest Zeitung, viele andere dösen. Dann gerät die Welt aus den Fugen. Der Zug springt aus den Gleisen und pflügt durchs Schotterbett.

Metallteile flogen herum, Scheiben zerbarsten

„Wir wurden richtig durchgeschleudert“, erzählt Birkenfeld. Die tonnenschwere Maschine rutscht einen Kilometer weiter und zermahlt das Geröll unter sich. Petra Birkenfeld krallt sich an ihren Armlehnen fest. „Draußen flogen Metallteile herum. Scheiben zerbarsten. Dann flog eine Tasche an mir vorbei. Und ein Schuh.“

Ein paar Waggons weiter saß Nico Gelev. „Ich dachte, jetzt ist es vorbei“, sagt der 32-jährige Nürnberger Sat1-Mitarbeiter. „Ich war voller Panik, das war die absolute Hölle.“

Nach 60 Sekunden und 1200 Metern bleibt der Zug stehen. „Der Waggon war um etwa 45 Grad geneigt“, sagt Petra Birkenfeld. „Alles war voller Staub. Ich dachte, es sind Dämpfe und ich muss ersticken. Ich hatte Angst, dass der Zug explodiert.“ Die Schaffner führen die Fahrgäste gegen die Fahrtrichtung zurück in den dunklen Himmel südlich von Fulda. „Alle waren sehr diszipliniert“, sagt Birkenfeld. „Überall lagen Zugteile, Steine – und Tierknochen. Die Gleise waren gerissen. Darauf lagen tote Schafe.“

Katastrophenalarm für die Ensatzkräfte

In der Ferne hört sie Sirenen – Katastrophenalarm. Feuerwehr, Polizei, Krankenwagen und Technisches Hilfswerk rasen zum Tunnel. Unter ihnen ist auch der Feuerwehrmann Joachim Riediger aus Mittelkalbach: „Wir haben höchstens zwei Stunden geschlafen“, sagt er am Sonntag, „zum Glück haben wir vor vier Jahren genau dieses Unfallszenario geübt." Insgesamt sind 260 Retter im Einsatz. Die Passagiere werden mit Bussen ins Bürgerhaus von Mittelkalbach gebracht. Dort versorgt sie Bürgermeister Dag Wehner mit Tee und Kaffee. „Es war relativ ruhig, die Leute haben das gut weggesteckt.“

Um 0.30 Uhr, vier Stunden nach dem Crash,werden die unverletzten Zuggäste nach Fulda gebracht. Der Tunnel ist noch immer gesperrt. Laut Bahn wird es mehrere Tage dauern, bis die Strecke wieder frei ist.

"Wir hatten verdammtes Glück"

Um 5.45 Uhr kommt Petra Birkenfeld endlich nach Hause. Hundemüde, aber glücklich: „Ich habe ein zweites Leben geschenkt bekommen“, sagt sie. So denkt auch Nico Gelev. Jeder Knochen tut ihm weh, sein Körper ist voller Prellungen. Aber er lebt. „Wir hatten verdammtes Glück“, sagt er. „Dieser 26. April ist wie ein zweiter Geburtstag.“

tg/zo/sw

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