Hungertod Lea-Sophies war Mord
Schwerin (dpa) - Im Prozess um den qualvollen Hungertod der fünfjährigen Lea-Sophie aus Schwerin sind die Eltern zu Haftstrafen von jeweils elf Jahren und neun Monaten verurteilt worden.
Das Schweriner Landgericht sprach die 24 Jahre alte Mutter und den 26 Jahre alten Vater am Mittwoch des Mordes in Tateinheit mit der Misshandlung Schutzbefohlener schuldig. Damit folgte das Gericht dem Anklagevorwurf. «Beide Angeklagte haben sehenden Auges tatenlos zugelassen, dass ihr eigen Leib und Blut jämmerlich bis zum Tode dahinsiecht», sagte der Vorsitzende Richter Robert Piepel in der Urteilsbegründung. Sie hätten ihrem Kind jegliche Hilfe verweigert, «die so leicht zu bekommen gewesen wäre».
Die Richter sahen es als erwiesen an, dass die Eltern aus niederen Beweggründen handelten, nicht aber, wie von der Staatsanwaltschaft dargestellt, aus Grausamkeit. Die Anklagebehörde hatte mit je 13 Jahren Haft höhere Strafen für die Eltern des Mädchens gefordert, das am 20. November 2007 nach wochenlangem Martyrium verhungert und verdurstet war. Die Verteidiger hatten auf Totschlag plädiert und eine Begrenzung der Freiheitsstrafen auf maximal acht Jahre gefordert. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Das Kind, das nach der Geburt seines Bruders im September 2007 die Nahrungsaufnahme verweigerte, wog zum Schluss nur noch 7,4 Kilogramm. Das ist etwa die Hälfte des Normalgewichts seiner Altersgefährten. Lea-Sophie war mit schwersten Mangelerscheinungen und Liegegeschwüren am Körper von einem Notarzt in eine Klinik eingeliefert worden und kurz danach gestorben. Sie wäre im August sechs Jahre alt geworden.
Die Eltern hatten vor Gericht ihr Versagen eingeräumt. «Es hätte niemals so weit kommen dürfen», bekannte die Mutter nach den Plädoyers. Während der Urteilsverkündung kämpfte sie sichtbar mit den Tränen. Der Vater, der sich schon zu Beginn des dreimonatigen Prozesses zu seiner Schuld bekannt hatte, hielt den Blick starr auf den Tisch vor sich gesenkt. Im Prozessverlauf war deutlich geworden, dass sich der arbeitslose Mann in Computerspiele geflüchtet hatte.
Psychiatrische Gutachter hatten zwar Hinweise auf Persönlichkeitsstörungen bei beiden festgestellt. Dennoch sind die Eltern den Sachverständigen zufolge voll für ihre Tat verantwortlich. Nach Überzeugung der Richter hatten beide wegen des erkennbar schlechten Gesundheitszustandes ihrer Tochter Angst, einen Arzt aufzusuchen. Sie befürchteten, dass ihnen beide Kinder weggenommen werden, hätten sie «die objektiv notwendige Hilfe verweigert», stellte Richter Piepel fest. Zudem hätte die Mutter damit auch zu erkennen geben müssen, dass sie sich nicht ausreichend um Haushalt und Familie kümmern konnte. Diesen Ansehensverlust habe sie vermeiden wollen. Mit alldem sah das Gericht das Mordmerkmal «niedere Beweggründe» erfüllt. Die junge Familie hatte sich zunehmend isoliert.
Der Fall Lea-Sophie, der bundesweit für Schlagzeilen sorgte, hatte auch Konsequenzen auf kommunalpolitischer Ebene. Oberbürgermeister Norbert Claussen (CDU) wurde abgewählt. Gegen Angestellte des städtischen Jugendamtes, das mehrfach auf die Familie aufmerksam gemacht worden war, aber nicht konsequent einschritt, liegen den Angaben zufolge 46 Anzeigen vor. Laut Staatsanwaltschaft trifft das Jugendamt aber juristisch keine Mitschuld am tragischen Tod des Mädchens. Das bestätigte auch die Kammer in der Urteilsbegründung.
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