Hummel-Figuren: Kunst oder Kitsch?
75 Jahre Pausbäckchen und verdammt lange Wimpern: Für Millionen Menschen weltweit verkörpern die Hummel-Figuren Geborgenheit, andere finden sie schrecklich betulich
Sie sind so süß, dass man das Wort eigentlich mit mindestens 30 „ü“ schreiben müsste. Verglichen mit den Hummel-Figuren wirken selbst Tierbabys wie brutale Scheusale. Große Augen, Pausbacken, runde Köpfe, dicke Wandersocken – das Kindchenschema wirkt. Statt Steinschleudern tragen diese Knirpse lieber eine Geburtstagstorte durch die Gegend.
Heute ist es ihre eigene. Seit 75 Jahren werden die Porzellanfigürchen, für die man den Diminutiv, die Verniedlichungsform, überhaupt erst hätte erfinden müssen, in Rödental (Landkreis Coburg) produziert. Dabei sah es bis vor gut einem Jahr so aus, als würde es sogar den dauerlächelnden Wesen den Mundwinkel für immer nach unten treiben. 2006 musste der Hersteller, die fränkische Porzellanmanufaktur Goebel, Insolvenz anmelden, im Sommer 2008 die Produktion einstellen. Das „stark defizitäre“ Geschäft mit den Figuren sei nicht mehr zu retten, hieß es vom Geschäftsführer.
Ein Aufschrei ging durch die Hummel-Clubs, die vor allem in Deutschland und den USA beheimatet sind. Erst im Februar 2009 kam die erlösende Nachricht: Jörg Köster von der Porzellanmanufaktur Hoechst kaufte die Rechte – und nahm die Fertigung wieder auf. Das Preissegment unter 120 Euro ließ er wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit streichen.
Liebhaber zahlen ohnehin bis zu 1000 Euro pro Stück. Oder Dollar. Denn die meisten Hummel-Anhänger gibt es in den USA. Das liegt daran, dass nach 1945 amerikanische Soldaten Millionen Exemplare als Souvenirs mit in die Heimat nahmen. „Die Figuren verkörpern für uns die Unbeschwertheit der Kindheit“, sagt William Nelson (65) der AZ. Er ist Leiter des „Hummel-Clubs“, dessen 100000 Mitglieder überwiegend weiblich und im Schnitt 50 Jahre alt sind.
Ein Alter, das Maria Hummel, nach deren Zeichnungen die Figuren bis heute gefertigt werden, nicht einmal erreichte. Die Niederbayerin aus Massing starb 1946 mit nur 37 im Kloster. Zuvor hatten die Nationalsozialisten ihre Kinderbilder als „wasserköpfig“ und „klumpfüßig“ diffamiert.
Inzwischen fördert die Politik die Produktion. Ministerpräsident Horst Seehofer besucht heute sogar persönlich die Manufaktur. Vielleicht sehnt er sich nach den parteiinternen Querelen ja nach ein bisschen Harmonie. Und sei sie auch so zerbrechlich wie Porzellan.
Timo Lokoschat
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