Hoffnungsträger mit Allüren

Die verwöhnte Generation Y favorisiert Selbstverwirklichung und Work-Life-Balance gegenüber Hierarchie und Herrschaftswissen
Die Jugend liebt den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt mehr vor älteren Leuten und schwatzt, wenn sie arbeiten sollte.“ Was der griechische Philosoph Sokrates schon 400 Jahre vor Jesus Christus beklagt hat, scheint bis heute nichts von seiner Aktualität eingebüßt zu haben. Mag sich die Arbeitswelt im Laufe der Jahrhunderte auch grundlegend geändert haben, das stürmische Aufbegehren der Jungen gegen die besonnenen Alten ist geblieben. Da machen auch jene keine Ausnahmen, die nach 1990 geboren wurden und nun gut ausgebildet in die Unternehmen strömen und die bislang dort tätigen „Babyboomer“ bald ablösen werden. Man nennt sie Generation Y, um sie als jüngere Gruppe hinter der Generation X einordnen zu können. Der Buchstabe „Y“ hat aber noch eine ganz andere Bedeutung. In der englischen Sprache wird er „Why“ (= Warum) ausgesprochen, was laut Wikipedia auf das charakteristische Hinterfragen der Generation Y verweist. Und diese jungen Leute werden auch nicht müde, ständig alles und jeden kritisch zu beurteilen.
„Raus aus dem Hamsterrad“
Im Gegensatz zu den geburtenstarken Jahrgängen sind die „Ypsiloner“ meist Einzelkinder, die von ihren stolzen Eltern behutsam gepflegt und bis an die Grenze des Belastbaren gefördert und nicht selten verhätschelt wurden. „Wir waren die behütetesten Kinder seit Menschengedenken. Seit unserem ersten Babyschrei standen wir im Zentrum der elterlichen Aufmerksamkeit. Jeder kleine Erfolg wurde als Sensation gefeiert. Die ersten Schritte, die ersten Worte, die ersten misslungenen Purzelbäume. Unsere Eltern haben den Weg der autoritären Erziehung verlassen. Als wir heranwuchsen, nahmen sie uns ernst, und wir durften sogar schon mitentscheiden, wie wir das Wochenende gestalten, wohin wir in den Urlaub fuhren. Kein Wunder, dass wir uns für etwas Besonderes halten“, so schreibt die „ZEIT“-Wirtschaftsredakteurin Kerstin Bund in ihrem Buch „Glück schlägt Geld – Generation Y“.
Auf diese Weise sei eine selbstbewusste Generation entstanden, die optimistisch und leistungsorientiert in die eigene Zukunft blicke. Von klein auf gewohnt, sich mit Autoritäten auf Augenhöhe auseinanderzusetzen, würden sie auch jetzt kein Blatt vor den Mund nehmen. Bund sieht in den „Ypsilonern“ bereits eine neue Elite, die die Arbeitswelt gehörig umkrempeln werde, denn sie traue sich auch vor ihren Chefs, nicht zu kuschen und vieles einzufordern.
Was die jungen Leute antreibt, ist der Wunsch nach Selbstverwirklichung auf allen Ebenen. Sie stehen in den Startlöchern für einen Traumjob und schlagen urplötzlich doch einen ganz anderen Weg ein. Warum, so fragen sie sich, sollen wir nach Dienstwagen und Gehaltserhöhungen gieren, wenn das private Glück dabei auf der Strecke bleibt. „Also nichts wie raus aus dem Hamsterrad – auf zur Sinnsuche und Work-Life-Balance“, beschreibt der renommierte Soziologe Klaus Hurrelmann die Generation der heutigen Berufsanfänger. In seinem Buch „Die heimlichen Revolutionäre – Wie die Generation Y unsere Welt verändert“ nennt der Experte diese Generation „Egotaktiker, die alle wichtigen Lebensentscheidungen nach den unmittelbaren Vorteilen und Nachteilen für die eigene Person und ihr Wohlbefinden abschätzen“. In Zeiten, in denen es politisch und wirtschaftlich unruhig zugehe und in denen es den Job auf Lebenszeit möglicherweise nie mehr geben werde, investierten die jungen Leute so viel in ihre Bildung und Ausbildung wie nie zuvor. Ein hoher Bildungsabschluss werde daher zur wichtigsten Munition im Kampf um einen gehobenen Platz in der Gesellschaft. Er gelte aber auch als Schlüssel zu einem selbstbestimmten Leben.
Im Beruf, so Hurrelmann, lehnten sie Hierarchien und Reglementierungen ab und strebten möglichst rasch einen Arbeitsplatz in einem Team an, in dem sie keiner störe und sie ihr Können unter Beweis stellen könnten. Intensives Arbeiten und lebenslanges Lernen sei für sie selbstverständlich, aber sie hätten auch gelernt, mit ihren Kräften hauszuhalten. Was Familie und Freizeit anbelange, so wünschten sich die „Ypsiloner“ zwar Kinder, „aber wenn die Bedingungen in Partnerschaft, Privatleben und Beruf nicht stimmen, verzichten sie lieber darauf“.
Noch viele Defizite
Dafür habe das Internet eine zentrale Bedeutung für sie. Über Facebook, Twitter und iPhone bestens vernetzt und technisch versiert, fühlten sie sich gesellschaftlich überlegen und seien schon deshalb bestrebt, neue, eigene Akzente zu setzen. In der Politik kämpfe die Generation Y zwar nicht für eine neue Gesellschaftsordnung wie andere vor ihr, dennoch wolle sie nach ihren eigenen Vorstellungen leben. Sie gehe nicht auf die Barrikaden, schließe aber auch keine falschen Kompromisse. Sie lebten einfach nach ihrer Fasson.
Jedoch ist auch längst nicht alles Gold, was an diesen mit vielen Vorschusslorbeeren bedachten „Millenials“, wie diese Generation auch genannt wird, so verlockend glänzt. Nicht wenige Personalchefs halten sie nämlich für verwöhnte, selbstverliebte „Weicheier“, die frech, fordernd und bisweilen sogar größenwahnsinnig auftreten. „Viele Kandidaten haben geradezu traumtänzerische Vorstellungen,“ berichtet Alexandra Beisch von der Saphir-Personalberatung in einem Hamburger Magazin. Dabei bezieht sie sich auf einen jungen Mann, der beim Vorstellungsgespräch einen Firmenchef spontan aufgefordert hat, er möge doch bitte den Firmensitz verlegen, denn das jetzige Gebäude sei für ihn nicht schön genug.
Abseits dieser humoristischen Eskapaden weisen diese Neulinge mit ihren hohen Ansprüchen dennoch eine Reihe von Defiziten auf. Zum Beispiel die Unlust, sich intensiv in ein Thema einzuarbeiten. Wie Studien belegen, mangelt es ihnen ferner an sozialen Kompetenzen im Alltag und an der Fähigkeit, einmal auch Rückschläge zu verkraften. Viele müssen sogar erst das Zuhören lernen, um eine arbeitsbezogene Kommunikation mit den Kollegen führen zu können. Nicht wenige präsentieren sich im Arbeitsalltag sprunghaft und sind bei Routineaufgaben schneller gelangweilt als vorherige Generationen von Mitarbeitern. Auch Entscheidungsfreude und Durchsetzungsstärke gehören nicht zu ihren Stärken. Vielen fehlt es an Mut und Biss zu unpopulären Aktionen. Schon fragen sich einige Unternehmer, ob diese Generation überhaupt die nötige Belastbarkeit mitbringe, um in einigen Jahren Führungspositionen einzunehmen. „Freiheitsliebe und Freude an immer Neuem sind gut – aber viele müssen erst erkennen, dass es letztlich um Leistung geht“, sagt Sophia von Rundstedt, Geschäftsführerin einer Personalberatung.
Bei all ihren Schwächen hält diese „Goldene Generation“, die sich schon beim Berufseinstieg viel herausnimmt, dennoch einen Trumpf in der Hand, der ihren Eltern und Großeltern vorenthalten war. Es ist der Mangel an Fachkräften, der schon aufgrund der demographischen Entwicklung immer größer wird. Akut mangelt es den Unternehmen vor allem an Ingenieuren und Naturwissenschaftlern. Wie das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft ermittelt hat, fehlen bei den sogenannten MINT-Qualifikationen wie Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik mittlerweile mehr als 117 000 Mitarbeiter. Insgesamt werde das Angebot an Arbeitskräften, das vor sieben Jahren mit 44,8 Millionen Menschen einen Höchststand erreicht hat, bis 2020 um 1,8 Millionen sinken. Bis 2025 schrumpft es dann noch einmal um weitere knapp zwei Millionen.
„Der Mangel könnte so gravierend werden, dass er unser Wirtschaftswachstum limitiert“, sorgt sich Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit. Wer also jetzt auf den Arbeitsmarkt komme, weiß, dass er wertvoll sei und jederzeit wechseln könne. Trotzdem kann sich nicht jeder „Ypsiloner“ in Sicherheit wiegen und vor Freude die Hände reiben, sondern nur die, die wirklich knapp und begehrt sind. Ingenieure zum Beispiel oder bestens ausgebildete Betriebswirte. „In den nächsten Jahren besteht die Herausforderung noch nicht darin, überhaupt Bewerber zu bekommen, sondern die besten herauszufiltern“, betont Geschäftsführer Holger Koch. Im Klartext: Viele Hochschulabsolventen, die erfolgreich ihr Studium abgeschlossen haben, werden wohl weiterhin zwischen miserabel bezahlten Praktika und Aushilfsjobs hin- und herjonglieren müssen.
Trotzdem hält der Zulauf an die Universitäten unvermindert an. Rund 2,6 Millionen Studenten zwängen sich derzeit in die meist total überfüllten Hörsäle. Das sind 800 000 mehr als noch vor 20 Jahren. Wie eine Befragung von Studienanfängern ergab, ist es jedoch nicht so sehr der Hunger nach Wissen und Erkenntnis, die sie auf die „Alma Mater“ treibt, sondern die Hoffnung auf eine glänzende Karriere mit einem Spitzengehalt. Während die Befürworter diese explosive Öffnung von Aufstiegschancen als endlich in die Tat umgesetzte Bildungsgerechtigkeit begrüßen, zieht ausgerechnet jener Mann, der in den 70er Jahren den Slogan „Bildung für alle“ erfand, ein geradezu vernichtendes Fazit.
„Akademisierungswahn“
Es ist Julian Nida-Rümelin, Philosophie-Professor an der Ludwig-Maximilian-Universität in München. In seinem Buch „Der Akademisierungswahn“ geht der SPD-Politiker nicht nur mit der seiner Ansicht nach verhängnisvollen Entwicklung an den Hochschulen hart ins Gericht, sondern bescheinigt gleichzeitig auch vielen seiner Studienanfänger, dass sie für das wissenschaftliche Arbeiten völlig ungeeignet seien. Zwar wolle er den jungen Leuten nicht das Studium verwehren, sondern sie lediglich vor ihrem Scheitern bewahren. Immerhin breche jeder Dritte sein Studium wieder ab. Deshalb sollten sie, so Nida-Rümelin, nach dem Abitur doch gleich lieber einen Beruf erlernen. In der Tat, angesichts des sich abzeichnenden Fachkräftemangels verspürt auch das Handwerk wieder goldenen Boden unter den Füßen. Wer allerdings dann noch im Zeitalter der digitalen Revolution künftig die einfachen Arbeiten verrichten soll, bleibt weiterhin ungeklärt. Erst in Ansätzen gelöst ist auch das Problem der Altersgruppe zwischen 30 und 60 Jahren. Diese „gehetzte“ Generation, die in der „Rushhour“ ihres Lebens Erwerbstätigkeit, Kindererziehung und Pflege der eigenen betagten Eltern oder Angehöriger gleichzeitig unter einen Hut bringen soll, ist nicht nur extrem gefordert, sie fordert auch die Politik heraus. Die Generation Y allerdings fühlt sich in ihrem Streben nach dem eigenen Glück davon nicht betroffen. Dabei könnte ein wenig Einsicht wesentlich mehr für ein rücksichtsvolles „Miteinander“ bringen als blanker Ehrgeiz und Egoismus. Österreichs Dramatiker Ferdinand Raimund (1790–1836) hat in seinem „Hobellied“ aus dem Zaubermärchen „Der Verschwender“ dazu die passende Erkenntnis gedichtet: „Die Jugend will halt stets mit G’walt, / in allem glücklich sein; / doch wird man nur ein bisserl alt, / dann find’t man sich schon drein.“
Literatur zum Thema
Kerstin Bund: Glück schlägt Geld – Generation Y. Murmann Verlag GmbH, 200 Seiten, 19,99 Euro. Klaus Hurrelmann: Die heimlichen Revolutionäre – Wie die Generation Y unsere Welt verändert. Beltz Verlag, 255 Seiten, 19,99 Euro. Julian Nida-Rümelin: Der Akademisierungswahn. edition Körber-Stiftung, 256 Seiten, 16 Euro.